DIE FORDERUNGEN DER IG METALL GEBEN VER.DI NICHT RECHT
: Zwangsmodernisierung für den Osten

Kann sich die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes jetzt bestätigt sehen? Kaum hat Ver.di-Chef Frank Bsirske den öffentlichen Arbeitgebern das Zugeständnis abgerungen, die ostdeutschen Löhne und Gehälter bis 2009 auf westdeutsches Niveau anzuheben – da kündigt auch die IG Metall den Tarifvertrag und verlangt auch für ihre Branche gleiche Bedingungen in Ost und West.

Was die Gewerkschaft Ver.di in ihrer Freude übersieht: Während die Privatwirtschaft ihre Beschäftigten im Westen oft über Tarif und im Osten nicht selten unter Tarif bezahlt, ist der öffentliche Dienst an das vereinbarte Zahlenwerk auch tatsächlich gebunden – und kann zum Beispiel den Umstand, dass eine Wohnung in München dreimal so teuer ist wie in Leipzig, bei der Bezahlung kaum berücksichtigen. Vor allem aber: Während die gewerbliche Produktivität in Ostdeutschland den Standard der Altbundesländer längst erreicht oder in einigen Großbetrieben sogar überschritten hat, beschäftigen die ostdeutschen Länder und Kommunen im Verhältnis zur Einwohnerzahl noch immer weit mehr Personal als die westdeutschen.

Das gilt für den Kulturbereich, wo beispielsweise den 50 westdeutschen Opernensembles sage und schreibe 30 Kompagnien zwischen Stralsund und Meiningen gegenüberstehen, obwohl nur jeder fünfte Deutsche im Osten lebt. Es gilt für den Bildungsbereich, wo beispielsweise das kleine Mecklenburg-Vorpommern gleich zwei Landesuniversitäten unterhält, während sich das fünfmal größere Baden-Württemberg keinesfalls zehn, sondern nur drei Volluniversitäten leistet. Und es gilt erst recht für das weite Feld der kommunalen Eigenbetriebe: Nur in Ostdeutschland erfreuen sich auch Kleinstädte eines eigenen Straßenbahnnetzes, und man muss im Westen schon lange suchen, bis man eine kommunale Wohnungsgesellschaft mit eigenem Havariedienst findet.

In der ostdeutschen Arbeitswelt, die seit der Währungsunion komplett umgewälzt wurde, fungierte der öffentliche Dienst bislang als eine Art Schonraum. Egal, ob man darin einen überflüssigen Luxus sieht oder einen notwendigen Standortfaktor in einer gebeutelten Region: Mit dieser „Überausstattung“, wie die Finanzpolitiker sagen, ist es durch die beschlossene Tarifangleichung vorbei. Länder und Kommunen werden ihre Dienstleistungen einschränken oder in Tochterfirmen ausgliedern, die den niedrigeren Tarif der jeweiligen Branche bezahlen. Man kann darin, wie es die wohlhabenderen Kommunen des Ostens schon jetzt tun, eine notwendige Modernisierung sehen. Aber man muss es wissen, bevor man in den Jubel des Ver.di-Chefs Frank Bsirske über die Gerechtigkeit für den Osten einstimmt. RALPH BOLLMANN