Das verflixte dritte Jahr

Die Weltbörsen sind im dritten Jahr in Folge in die Knie gegangen. Dass es auch ein viertes negatives Jahr gibt, wird von Experten nicht erwartet. Börsen waren aufgepumpt, Blasen seien jetzt geplatzt

Seit drei Jahren in Folge sind die internationalen Börsen gefallen. Der Börsenindex S&P 500 ist allein im letzten Jahr um knapp 24 Prozent gesunken, im Vergleich zum Höchststand im März 2000 fiel er um knapp 40 Prozent. Der Dow Jones sank seit Januar 2000 um 29 Prozent.

Noch schlimmer hat es den deutschen Markt erwischt. Der Aktienindex DAX verlor seit März 2000 mehr als 63 Prozent seines Werts. Damit reichen die Verluste der deutschen Standardwerte schon fast an die der einst hochgejubelten Technologiebörsen heran. Die amerikanische Technologiebörse Nasdaq sank seit März 2000 um 73 Prozent, und der Nemax, der Index des „Neuen Marktes“, war nach seinem Höchstand bei 5.724 Punkten im März 2000 Ende des Jahres bei 431 notiert: ein Verlust von über 90 Prozent.

Eine solcher Absturz der Weltbörsen ist historisch einmalig. Nur der als Schwarzer Freitag in die Geschichte eingegangene Börsenkrach im Jahr 1929 hatte ähnliche Wertverluste zur Folge. Erst 25 Jahre später im Jahr 1954 wurden die Stände von 1929 wieder erreicht. Die Crashs seitdem – zum Beispiel in der Folge der Ölkrise 1972 oder während der so genannten Asienkrise 1987 – sind weder von den Kursverlusten noch von der Dauer her mit der aktuellen Situation zu vergleichen. Nach höchstens zwei Jahren hatten die Indizes wieder ihren alten Werte erreicht.

Robert Halver, Leiter Anlagestrategie bei Vontobel Asset Management, möchte dennoch den Crash von 1929 nicht mit dem gegenwärtigen Absturz vergleichen. Heute könnten, so Halver, die Notenbanken sozusagen „aus Luft Geld machen“, das heißt beliebig viel Liquidität zur Verfügung stellen, und seien nicht mehr wie 1929 an die Golddeckung gebunden. Auch André Wetzel, Volkswirt beim Deutschen Aktieninstitut und Verfasser einer Kurzstudie zum Thema, sieht Unterschiede zwischen der Situation heute und der 1929. Beide Kursstürze seien zwar zunächst aufgrund einer vorhergehenden Übertreibung entstanden. Während aber 1929 eine lang andauernde tiefe Weltwirtschaftskrise begann, sei in den letzten beiden Jahren ein wenn auch niedriges Wirtschaftswachstum zu verzeichnen. Die finanzwirtschaftliche Situation sei ähnlich, die realwirtschaftliche jedoch eine andere.

Die Ursachen der aktuellen Baisse lägen, meint Wetzel, in einer Reihe von Faktoren, die zeitlich aufeinander gefolgt seien und sich gegenseitig verstärkt hätten. Der „große Knall“, mit dem der Abschwung im Frühjahr 2000 begann, war zunächst eine reine Finanzmarktkrise: Die Börsenblase, der „Bubble“ der New Economy mit seinen völlig von den realwirtschaftlichen Daten abgekoppelten Bewertungen, platzte. Ein politisches Ereignis, der Terrorangriff vom 11. September mit seinen Folgen, stellte dann die Märkte auf eine zweite Belastungsprobe. Die Skandale um die Bilanzfälschungen bei Enron oder Worldcom schließlich und die damit verbundene Erschütterung des Vertrauens in die amerikanische Wirtschaftskultur gab den Börsen den Rest.

Aber wie kann es überhaupt zu einer solchen wahnhaften Überbewertung kommen, bei der sich die Börsen weit von der Realwirtschaft entfernen? Die wesentlichen Gründe dafür sind eher psychologischer Natur. Wetzel weist auf den immer wieder zu beobachtenden Herdentrieb der Anleger hin, dem auch die professionellen Manager erlagen, die große Vermögen wie etwa Pensionsfonds oder offene Publikumsfonds verwalten. Wetzel spricht vom Zwang, zu investieren beziehungsweise weiterzumachen, dem die Anleger ausgesetzt seien, weil in Zeiten gigantischer Wertzuwächse wie in den Jahren 98 oder 99 jeder Ausstieg verlorenes Geld bedeute.

Der bis 2000 aufgebaute Internet-Bubble ist zwar mittlerweile abgearbeitet, so Robert Halver. Und auch das im Vergleich zu Anfang 2002 hohe Risikobewusstsein der Anleger spricht nicht für ein viertes Aktienjahr mit negativer Performance in Folge. Dennoch sieht der Experte die nähere Zukunft verhalten und durch mehrere Faktoren belastet. Zum einen verweist Halver auf die aktuelle schlechte konjunkturelle Lage und zum anderen natürlich auf die Situation im Irak und die Furcht vor einem Krieg. Zum dritten aber fehle es an einem „Megathema“ für die Börse, wie es die neuen Medien in den 90er-Jahren oder der Thatcherismus in den 80ern waren.

Beide Experten halten daran fest, dass auf lange Sicht Aktien besser abschneiden als Renten. Das gelte umso mehr, als seit Jahren ein historisch niedriges Zinsniveau von 4 bis 4,5 Prozent gegeben und mit Rententiteln gerade der Inflationsausgleich zu erwirtschaften sei. Auch eine Reihe von Studien legt es nahe, weiter bei der alten Lehrbuchweisheit von der Überlegenheit der Aktienanlage zu bleiben.

So hat die Fondsgesellschaft Union Invest errechnet, dass seit 1947 deutsche Aktien durchschnittlich 2,6 Prozent pro Jahr besser rentierten als festverzinsliche Wertpapiere. Betrachtet man unterschiedliche Anlagezeiträume, fällt der Vergleich ebenfalls zugunsten der Aktienanlage aus. Mit einer Ausnahme (1960–1985) waren, so die Studie, sowohl in 15-Jahres- als auch in 25-Jahres-Perioden Aktien besser als Renten. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Jörg Krämer, Chefvolkswirt bei der Fondsgesellschaft Invesco. Auf Grundlage von Berechnungen mit Datenreihen aus über 100 Jahren hält er eine Mehrrendite von etwa 3 Prozent für realistisch.

„Nicht hingucken und laufen lassen“, rät Halver Anlegern, zumindest wenn ein Anlagehorizont von mehr als zehn Jahren vorhanden ist – auch wenn sie zu Höchstpreisen gekauft haben. Dieser Ratschlag kann jedoch nur für große, solide Standardtitel und nicht für zweideutige Titel des Neuen Markts ausgegeben werden. Aktuell empfiehlt Vontobel ein defensiv beziehungsweise neutral gewichtetes Portfolio mit 40 Prozent Aktien, 55 Prozent Renten und 5 Prozent Barbestand. BIRGIT BOSOLD

Die Kurzstudie gibt es über www.dai.de