Kein bisschen witzig

Selten landete Scherzbolde, die falschen Milzbrandalarm gegeben hatten, bei der Staatsanwaltschaft. Tatsächlich gab viele Polizei- und Feuerwehreinsätze – und eine Gesetzeslücke

Bei den Kosten für Polizeieinsätze gab es bis September 2002 eine Lücke

taz ■ „Trittbrettfahrer hart bestrafen!“ Dieser Ruf schallte im Winter 2001 durch die Republik, nachdem unzählige anonyme Briefsendungen falsche Milzbrandalarme ausgelöst hatten– analog zu den tödlichen Echtfällen, die die USA seinerzeit in Atem hielten. Doch im Land Bremen wurden bis heute insgesamt nur drei Strafverfahren abgeschlossen – alle gegen Leute, die sich anfangs noch für Scherzbolde gehalten hatten.

Die Fälle betreffen allesamt EinzeltäterInnen, die sich später selbst zu erkennen gegeben hatten. Eine kleine Minderheit – denn von den 40 vermeintlichen Milzbrand-Einsätzen, die die Feuerwehr allein im Oktober und November in Bremen-Stadt fuhr, wurde sonst kaum einer aufgeklärt.

Gestern hatte die taz über einen Fall berichtet: Zwei Filmstudenten, die im Hemelinger Hafen ein ominöses Päckchen fanden, das sich später als ein Zwölferpack Hanuta entpuppte. Einer der Studenten wird jetzt mit den Kosten für den nicht von ihm gerufenen Krankenwagen samt anschließendem Klinikaufenthalt wegen Anthrax-Test mit gut 1.000 Euro belangt.

Dabei geht es allerdings nur um die Kosten für Sanitäter und Ärzte. Bei den Polizeieinsätzen gab es bis September 2002 eine Lücke: Bis dahin trug allein die öffentliche Hand die Kosten für unzählige Polizeieinsätze in Bremen und Bremerhaven. Es gab nämlich keine Rechtsgrundlage, um das Geld für die Polizei einzutreiben. Erst im vergangenen Herbst wurde diese Lücke still und leise geschlossen. Seitdem können Personen, die Fehlalarm durch das Vortäuschen einer Straftat oder einer Gefahrenlage auslösen, für den Einsatz zur Kasse gebeten werden.

Die entsprechende Verordnung erließ der Senat erst, nachdem zuvor die Innendeputation und der Haushaltsausschuss zugestimmt hatten – dabei hatte die Polizei zuvor ganz anders getönt. Nachdem neun Monate zuvor eine 15-jährige Schülerin aus Bremerhaven als Urheberin eines „Milzbrand“-Briefes geoutet wurde, der eine Großaktion und eine zweitägige Schulschließung auslöste, hieß es: „Die Begleichung der fünfstelligen Rechnung für die Einsatzkosten und die zu erwartende Strafe wegen Störung des öffentlichen Friedens werden hoffentlich der Abschreckung für andere ‚Trittbrettfahrer‘ dienen.“ Die junge Frau musste schließlich zwei Wochenenden im Jugendarrest absitzen und hundert Stunden gemeinnützig arbeiten. Die Kosten für den Polizeieinsatz blieben den Eltern erspart.

Auch der reuige Familienvater, der einer Kollegin einen Umschlag mit Mehl untergeschoben hatte, zahlte für den Polizeieinsatz keinen Pfennig. Ungeschoren blieb der Selbstanzeiger aber nicht: Er zahlte einen Strafbefehl über rund 3.000 Euro. Auch in einem dritten Fall waren die Täterinnen schnell erkannt: Zwei Arzthelferinnen hatten einen Umschlag mit Milchpulver vor der Ladentür eines Verwandten deponiert, um sich an dessen Schrecken zu weiden. Der Umschlag war als „Revanche“ gedacht, hatte der Mann den Frauen doch zuvor selbst gebastelte Strafzettel unter die Windschutzscheibe geklemmt und sich an ihrer Aufregung ergötzt. Ob der Mann sich – als quasi Mitschuldiger – später an den Kosten für den Strafbefehl über rund 1.200 Euro für jede Frau beteiligte, ist nicht bekannt. Wohl aber, dass auch hier kein Pfennig an die Polizei gezahlt wurde. Dabei hatten die Dienststellen in Bremerhaven – damals noch in Mark – kalkuliert, dass ein Fehlalarm rund 2.900 Mark kostete, die Untersuchung des weißen Pulvers rund 300 Mark und der Feuerwehreinsatz mit Spezialausrüstung sogar 4.800 Mark. In Bremen wurde der einfache Feuerwehreinsatz rückblickend mit rund 400 Euro veranschlagt. Über die genaue Zahl der vom Staatsschutz nicht aufgeklärten Fälle will sich offiziell niemand äußern. Und auch die Gesundheitssenatorin macht keine Angaben dazu, wie viele Untersuchungen das Landesuntersuchungsamt absolvierte. ede