Zu spät für Trauerbeflaggung

Kleine Inszenierungen in Schaufenstern und auf Fußwegen: Die Galerie der Gegenwart zeigt Fotos des in Hamburg und New York lebenden Künstlers Schuldt aus seinem Zyklus „A Patriot‘s Mecca“

von CHRISTIAN T. SCHÖN

Spike Lee verbrannte sie im Vorspann zu seiner Filmbiographie Malcolm X – ein Sakrileg. Rick Rubin wählte sie als Logo für sein Platten-Label American Records – allerdings auf den Kopf gedreht: ein Überrest des Vietnam-Protests. Weltweit lag sie Zeitungen nach dem 11. September 2001 bei, damit sie in Auto- und Schaufenstern gezeigt würde – als Zeichen uneingeschränkte Solidarität: die US-Flagge, der Star Spangled Banner.

Was wäre ein Raum, zehn mal zehn mal zehn Meter, mit illuminierten Farbfotos der Stars‘n‘Stripes und einem acht mal acht mal acht Meter messenden Kubus, einer schwarzen Kaaba, in der Mitte? „A Patriot‘s Mecca“, antwortete der 61-jährige Künstler Schuldt auf die selbst gestellte Frage, als er im Sommer letzten Jahres durch New York lief, um die alltäglich inszenierte patriotische Trauer und emphatische Solidarität festzuhalten. Nicht für das Familienalbum, Schuldt spricht von einer „enzyklopädischen Offensive“. 7000 Aufnahmen umfasst diese bis jetzt. Gut 70 davon zeigt nun die Galerie der Gegenwart als „Studien zu A Patriot‘s Mecca“.

Schuldts Farbaufnahmen kommen ohne menschliche Züge aus. Sie strahlen keinen Stolz, keine Kraft aus. Kleine alltägliche Inszenierungen in Schaufenstern und auf Fußwegen ziehen sein aufmerksames Objektiv an. Ein Motorrad mit roten Streifen und weißen Sternen auf dem Tank, das am Straßenrand steht. Ein Bugs Bunny mit Uncle-Sam-Zylinder im Schaufenster. Ein rot-blau gebatiktes T-Shirt im Vorbeigehen. Eine Baseball-Spielfigur aus Porzellan, ein auf die Nase gefallener, gelber Stoffteddy.

Als Schuldt im Sommer letzten Jahres die Aufnahmen machte, war der Künstler und Dichter zu spät für die „9/11“-Trauerbeflaggung. Längst waren seiner künstlerischen Offensive politische und militärische zuvor gekommen, war von Achsen die Rede, von Krieg, war unter dem Mantel der Stars‘n‘Stripes die Mobilisierung der Armee und der Verbündeten angelaufen.

Schuldt versucht, den blinden Fleck der emotionalen Selbstvergewisserung der USA zu fixieren, den unbezwingbaren, trotzigen Glauben, zur Weltpolizei geschaffen zu sein. Doch seine skizzierte Enzyklopädie muss misslingen, soll sie nicht ihrerseits zu einem Memorial-Wall werden. Sie spielt mit heiklen Hintergründen („Mecca“) und muss unvollständig bleiben, weil sie sich auf das Sichtbare konzentriert – die „Ästhetik der Mobilmachung“ (FAZ) durch patriotische Symbole. Schuldt macht das Star Spangled Banner als universelles, leeres Symbol ansichtig, das sich allerdings jederzeit gefährlich mit heißer, aber explosiver Luft füllen kann.

Die Gegenüberstellung der Hamburger Skizzen-Schau mit Jeff Koons „Art Magazin Ads“ in der Galerie der Gegenwart erzeugt den Kitzel der Süffisanz. Bedeutet sie doch dem Betrachter: Hier werden Oberflächen präsentiert. Die gefährlichen Strömungen verlaufen unsichtbar, im Untergrund. So wie Cady Nolans Gitterzaun „Not yet titled“, der ohnmächtig und ungläubig in die Maschen gekrallte Finger am abgesperrten Ground Zero in den Raum holt – oder fragwürdige Gefängniszäune in Guantanamo.

Zudem kann die patriotische Mobilisierung Folgen nach sich ziehen, an die die graphischen Zyklen von Jacques Callot, Francisco de Goya und Otto Dix im Nebenraum erinnern. Zusammen mit jener „Kriegs“-Ausstellung und einigen Arbeiten des „Schrägspur“-Programms erzeugen Schuldts Fotos ein zur Zeit einzigartiges, vibrierendes Ausstellungskonglomerat.

Di–So 10–18 Uhr, Do bis 21 Uhr; Galerie der Gegenwart, Glockengießerwall; bis 23.3.