Grabenkämpfe statt echter Taten

Betr.: „Gegen 6-jährige Grundschule“, taz bremen vom 20.12.02

Nur in einem Punkt ist dem Papier der Gymnasialen uneingeschränkt zuzustimmen: Die Beschlüsse der sehr großen Koalition haben eine Organisationsdebatte ausgelöst, die im Falle ihrer Umsetzung das Ende der bremischen Schulzentren sowohl in der S I als auch in der S II bedeuten. Und das Ganze geschieht unter dem Mantel Pisa, obwohl genau deren Ergebnisse mit der jetzt geführten Debatte etwa soviel gemeinsam haben, wie die seit 50 Jahren postulierte Politik der Chancengleichheit mit deren realer Umsetzung im Lande Bremen.

Es ist wirklich bequem, unter etatistischen Vorwänden das zwölfjährige durchgängige Gymnasium zu fordern. Das Geld reicht nicht für eine Schule à la Finnland, folglich möchten die Damen und Herren Gymnasialleiter die pflegeleichten und leistungsstarken SchülerInnen im Gymnasium sehr klassischer Art mit etwas kürzerer Durchlaufzeit halten. Die restlichen etwa 80 Prozent der SchülerInnen spielen in der Betrachtungsweise der Vertreter der höheren Bildung überhaupt keine Rolle. Was ist eigentlich mit den RealschülerInnnen, die heute einen erheblichen Teil der Schülerschaft in den Gymnasialen Oberstufen stellen? Was ist mit dem Anspruch auf Durchgängigkeit für alle Nichtgymnasiasten?

Pisa hat primär zum Ergebnis gehabt, dass die Bildungsbeteiligung bestimmter Bevölkerungsgruppen zu gering ist, weil es dem Schulsystem nicht gelingt, Kindern aus MigrantInnenfamilien oder solchen aus sozial schwachen Umfeldern ausreichend Qualifikationen zu vermitteln, damit sie gesellschaftlich angemessen partizipieren können. Die SchülerInnen, die in der Lage sind, nach zwölf Jahren ihr Abitur zu machen, haben, auch das belegt Pisa, schon jetzt das bremische Schulsystem weitgehend schadlos überstanden. Also muss doch die Diskussion darum gehen, wie die Bildungsbeteiligung erhöht werden kann. Diese Frage hat mit der Schulform zunächst einmal sehr wenig zu tun. Statt mit Qualitätsverbesserungen dort anzusetzen, wo das bremische Schulwesen heute real steht, werden die alten ideologischen Grabenkämpfe geführt. Statt Wege für höhere Bildungsbeteiligung aufzuzeigen, werden Schutzräume für gesellschaftlich ohnehin Privilegierte postuliert. Die Kollegen aus den Gymnasien drücken sich vor der notwendigen Debatte über die umfassende Verbesserung der Qualität des Produktes Schule.

Unser Schulzentrum fühlt sich auch weiterhin verpflichtet, allen Menschen eine möglichst gute Bildung zu ermöglichen. Bei uns lernen RealschülerInnen, MigrantInnen, SchülerInnen aus sozial schwachen Familien, solche aus dem deutschen Bildungsbürgertum. Alle haben bei uns ihren Platz. Die Mischung und der Umgang macht es aus. Unser Gymnasium ist eines der in der Oberstufe am meisten angewählten. Trotzdem wird unsere Arbeit in Frage gestellt. Kann eine solche Debatte richtig sein?

Helmut Zachau, Direktor des Schulzentrums S II Walle