Staatliche Abschieber, private Sozialarbeit

Für ganze vier Stunden in der Woche hat das Innenressort eine Sozialarbeiterin für den Abschiebeknast eingestellt. Die Gefangenen bekommen die neue Kontaktperson allerdings kaum zu sehen. Die eigentliche Sozialarbeit bleibt weiterhin an ehrenamtlichen Helfern hängen

Entlassene Abschiebehäftlinge stehen ahnungslos auf der Straße„Hier findet keine Sozialarbeit statt“, sagt der katholische Gefängnisseelsorger

taz ■ Darko kommt raus. Raus aus dem kleinen Gefängnis direkt neben dem Büro des Polizeipräsidenten, das offiziell den fürsorglich klingenden Namen „Polizeigewahrsam“ trägt. Drinnen heißt es einfach „Abschiebeknast“. Darkos Zeit ist abgelaufen. Der Mann aus dem Kosovo ist über Italien eingereist und sollte dorthin zurück geschoben werden. Aber die italienischen Behörden stellen ihm keine Papiere aus, und Deutschland schiebt noch keine Roma ins Kosovo zurück. Deshalb musste er nach drei Monaten aus der Abschiebehaft entlassen werden.

Mittellos steht er nun auf der Straße – und hilflos: Er kennt sich nicht aus in Bremen und spricht nicht genug Deutsch, um sich durchzufragen. Er weiß nicht einmal, dass er ein Recht auf ein Dach über dem Kopf hat. Für eine Nacht kommt er bei einem Bekannten unter. Sein Glück, dass am Vortag Mitglieder der Gruppe „grenzenlos“ im Knast waren. Sie haben eine Kollegin alarmiert, die am nächsten Tag mit ihm loszieht: Zur Wohnungshilfe, zum Ausländeramt, zum Sozialamt. Alles ehrenamtlich.

Im Knast hat Darko niemand gesagt, wie es danach weitergehen soll. Auch nach jahrelanger Debatte gibt es immer noch kein Faltblatt mit den wichtigsten Anlaufstellen. Dabei arbeitet seit gut drei Monaten eine Sozialarbeiterin im Abschiebeknast. „Aber die kennt hier kaum jemand“, berichtet Enyo* über das einzige Telefon im Männertrakt. Der 20-Jährige kam vor sieben Jahren aus Togo. Nun wartet er auf das Flugticket in die fremd gewordene Heimat. Die Anstaltsroutine hat ihn mürbe gemacht: Täglich bis zehn Uhr morgens Einschluss in einer Zelle mit weiß gekachelten Wänden, die statt eines Fensters Glasbausteine hat; das Klo hinter einem schulterhohen Sichtschutz. Frühstück um elf Uhr, Mittag um zwölf Uhr und Abendbrot zwischen 14 und 15 Uhr. Danach das lange Nichts.

Die einzige Beschäftigung ist Videokucken. Der so genannte Hof ist ein schmaler Schlauch. Dort stehen zwar Tischtennisplatten aus Beton, aber in ihrer Mitte sammelt sich beim typischen Bremer Regenwetter das Wasser. „Wir haben nicht mal einen Lappen“, sagt Enyo.

Am liebsten spielen die zurzeit 17 Männer Fußball – bis der Ball sich mal wieder im Nato-Draht über der hohen Mauer verfangen hat. „Manchmal bringt dieser Kirchentyp einen neuen“, sagt Enyo, der nach zehn Wochen schon zu den alten Hasen gehört. „Dieser Kirchentyp“ – das ist der katholische Geistliche Ansgar Möller. Eigentlich ist er Anstaltsseelsorger in der Justizvollzugsanstalt Blockland. Seit eineinhalb Jahren kommt er einmal wöchentlich in den Abschiebeknast und nimmt sich der dringendsten Bedürfnisse der Gefangenen an. Sein Fazit: „Sozialarbeit findet hier immer noch nicht statt.“

Die von der Polizei eingestellte Sozialarbeiterin haben die Wenigsten schon einmal persönlich gesehen. Enyo ist einer: „Die ist ganz am Anfang mal morgens in meine Zelle gekommen, als aufgeschlossen wurde“, sagt er. Sie habe gefragt, ob es „Probleme“ gebe. „Aber da hab ich noch halb geschlafen.“ Eigentlich soll die Betreuerin immer montags kommen. „Aber letzten Montag war sie nicht da“, sagt er, „und vorletzten auch nicht.“ Laut Senatsantwort auf eine kleine Anfrage der grünen Bürgerschaftsfraktion ist die Teilzeitkraft drei bis vier Stunden in der Woche anwesend und sonst telefonisch erreichbar. „Hier weiß keiner ihre Nummer“, sagt Enyo. Nützen würde das ohnehin nicht viel, denn die Frau spreche neben Deutsch nur Polnisch und Russisch, in Abschiebehaft gerieten aber vor allem Kurden und Afrikaner.

Wenn es ernst wird, gehen die Insassen auf den Flur: Dort hängt die Telefonnummer der Gruppe „grenzenlos“, mit Erklärung in fünf Sprachen. Mohammed* zum Beispiel, ein Marokkaner, der als Gastarbeiter lange Jahre in Deutschland geschuftet hat. Einmal wurde er auf dem Heimweg in Spanien mit Haschisch erwischt und kam in Haft. Nun ist deswegen sein deutscher Aufenthaltstitel verfallen. Gegen seine Abschiebung war er um den Jahreswechsel über drei Wochen im Hungerstreik. Die Sozialarbeiterin habe sich die ganze Zeit nicht bei ihm blicken lassen, sagt der Mittfünfziger. Erst als ,grenzenlos‘ eine Ärztin in den Knast brachte, wurde er wegen Bluthochdrucks behandelt.

„Unsere Hoffnungen sind von Innensenator Böse total enttäuscht worden“, sagt der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Matthias Güldner, der in jahrelanger Kleinarbeit eine gesetzliche Regelung der Abschiebehaft durchboxte. „Es ist ein Skandal, dass eine ehrenamtlich arbeitende Gruppe wie ,grenzenlos‘ die in der Abschiebehaft entstehenden menschlichen Notlagen auffangen muss“, schimpft Güldner.

Eine der Ehrenamtlichen von „grenzenlos“ ist Ghislaine Valter. Mindestens einmal in der Woche hält sie eine Art Sprechstunde ab. Ein Türke soll abgeschoben werden, hat aber nur leichte Sommerkleidung. Ein Rumäne wurde verhaftet, seine Freundin tagelang nicht benachrichtigt. Einem Libanesen wurde bei der Verhaftung ungesetzlich alles Geld abgenommen. Valter kümmert sich um alle. Zum Abschied lässt sie den Männern ein paar Päckchen Tabak und einige Telefonkarten da. Bis zur nächsten Woche. Dann werden einige schon nicht mehr da sein.

Jan Kahlcke

*Namen von der Redaktion geändertDie Gruppe ,grenzenlos‘ finanziert ihre Arbeit aus Spenden. Abzugsfähige Spenden an: Verein ökumenischer Ausländerarbeit in Bremen, Stichwort: grenzenlos. Kontonummer11 83 05 85, Sparkasse Bremen, BLZ 290 501 01