Telefon-Lausch: „Nachlässige Richter“

Bremer Jurist kritisiert Grundrechtsverletzungen bei Telefonüberwachung. Richter und Staatsanwälte widersprechen

taz ■ Mehr als drei Viertel aller Telefonüberwachungen (TÜ) erfüllen nicht die gesetzlichen Anforderungen. Zu diesem Ergebnis kommt der ehemalige Bremer Richter und Emeritus der Bielefelder Universität, Otto Backes, in einer jetzt vorgestellten Studie. Backes hatte die Akten von mehr als 550 TÜs in Bremen und drei weiteren Staatsanwaltschafts-Bezirken untersucht (taz berichtete). Sein Fazit: Eine richterliche Kontrolle der Anträge findet faktisch nicht statt. Backes: „Die Richter schützen die Betroffenen nicht.“

Zwar bescheinigt der Jurist den Bremer Richtern, sie würden vergleichsweise genau prüfen, ob tatsächlich ein Verdacht auf eine Straftat vorliege, bei der das Abhören des Telefons überhaupt zulässig sei. Ob die Überwachung aber verhältnismäßig sei, prüften die Bremer Richter „genauso nachlässig“ wie ihre Kollegen anderswo.

Fast nie fand der Jurist in den Unterlagen Hinweise darauf, dass die Richter den Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen tatsächlich mit dem mutmaßlichen Ermittlungserfolg abgewogen hätten. „Die Richter verstehen sich nicht als Verteidiger der Grundrechte“, sagt Backes. Genau das aber sei Sinn der Überprüfung. Backes: „Der Betroffene weiß ja nichts von der TÜ, kann sich also auch nicht wehren.“

„Ich kann doch nicht dem Staatsanwalt sagen: ‚Das muss eigentlich nicht sein‘“, sagt hingegen der Bremer Ermittlungsrichter Dieter Nordhausen. Oftmals gebe es schlicht keine Alternative zum Abhören; die Richter hätten „kaum Möglichkeiten der kritischen Begleitung“. Wenn ein Verdacht auf eine Straftat vorliege, sagt Nordhausen, „muss ich mein Plazet dazu geben.“

Den Vorwurf, er vernachlässige seine Kontrollpflichten, will sich der Richter dabei nicht machen lassen: „Klar bin ich Anwalt der Betroffenen.“ Und selbstverständlich wäge er immer sorgfältig ab. „Ich kann das doch aber nicht in jeden Beschluss reinschreiben“, erklärt er das Fehlen entsprechender Passagen in den Akten. Schließlich bekomme den Beschluss ja das Telekommunikations-Unternehmen, und das müsse nicht über alle Details Bescheid wissen.

Mangelhaft und rechtswidrig ist nach Auffassung von Backes auch das Verhalten der Staatsanwälte. Fast jeder vierte Abgehörte sei ausweislich der Akten nicht wie gesetzlich vorgeschrieben über die abgeschlossene TÜ informiert worden – auch in Bremen nicht. Staatsanwalt Volker Dützschhold, Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität, widerspricht: Auch wenn das Ermittlungsverfahren eingestellt werde, würden die Betroffenen in der Regel schriftlich informiert. Aber, räumt Dützschhold ein: „Das kann auch mal vergessen werden.“ sim