„Ein gewisser Gegenwind nützt“

Wo steht Hamburg in der Liga der deutschen Popmusik-Städte? Hardy Dreier, Autor einer Uni-Studie zum „Musikstandort Hamburg“, über Kreativität, Subventionen und das Reeperbahn Festival

Interview: KLAUS IRLER

taz: Herr Dreier, ist Hamburg die Popmusik-Hauptstadt Deutschlands?

Hardy Dreier: Ja und Nein. Wenn man sich Wirtschaftszahlen ankuckt, dann sieht Berlin im Moment besser aus – weil viele Großunternehmen mittlerweile ihren Sitz in der Hauptstadt haben (zum Beispiel der Musikkonzern Universal; d. Red.). Wenn man allerdings die kreative Szene ankuckt, den musikalischen Output und die Vielfalt, dann spielt Hamburg in der ersten Reihe mit. Allerdings wird der Preis für die kreativste Szene ständig neu vergeben. Den könnte in der einen Woche Hamburg bekommen, in der anderen Berlin oder Mannheim, Köln oder München.

Nun konnte in Hamburg der äußerst angesehene Liveclub Molotow nur mit Hilfe eines Mäzens gerettet werden, andere Clubs wie die Tanzhalle oder der Mojo-Club mussten zumachen. Ist die Szene vor Ort nicht im Abstieg begriffen?

Schwer zu sagen. Ein gewisser Gegenwind nützt den kreativen Szenen eigentlich auch immer, indem er die Szene mehr zu sich selbst bringt. Solange die Szene so wehrhaft wie in Hamburg ist und um ihren Standort kämpft, so lange halte ich das für ganz gesund. Natürlich könnte man die Kraft für diesen Kampf auch für andere Sachen gebrauchen.

Nämlich?

Zum Beispiel für die Antwort auf die Frage, wie man als Hamburger Musiker das Profil der Stadt stärken will. Wenn man die Gazetten ankuckt, sagen Musiker aus anderen Städten immer gerne, dass Hamburg ein toller Ort sei, um aufzutreten. Hamburg hat Pfründe, die außerhalb der Hansestadt sehr viel gelten. Das Bewusstsein dafür könnte vor Ort noch ausgeprägter sein.

Wie finden Sie die Idee, dass die Stadt ihre Live-Clubs mit öffentlichen Geldern subventionieren soll?

Das ist eine heikle Angelegenheit. Man muss sich im Klaren darüber sein, welches Ziel man verfolgt, wenn man in so einen Bereich mit Subventionen eingreift. Als Begründung würde nicht reichen, nur wirtschaftliche Not zu lindern oder Standortnachteile einzelner Clubs auszugleichen. Es muss ein überzeugendes Konzept dahinter stehen, das regelmäßig zu überprüfen wäre. Weil die Entwicklung gezeigt hat: Die Musikwirtschaft hat sich in den letzten zehn Jahren dramatisch verändert.

Inwiefern?

Neue Akteure sind aufgetaucht, andere sind längst wieder verschwunden. In der Zukunft wird zum Beispiel die mobile Verbreitung von Musik über Mobil-Funk-Abos noch eine wesentlich größere Rolle spielen. Alles, was man da an Konzepten implementiert, muss offen und dynamisch und dialogisch begleitet sein.

Wie könnte ein solches Konzept für Hamburg aussehen?

Ein solches Konzept kann nicht starr sein, es muss sich am kontinuierlichen Veränderungsprozess der Branche orientieren und immer wieder neu erfunden werden. Entscheidend ist, welches mittel- und langfristige Ziel man für das Konzept formuliert, und dass einem bewusst ist, dass der Weg zu diesem Ziel ganz sicher nicht gerade verläuft.

Aber ist es nicht auch unabhängig von Konzepten so, dass Subventionen eine kreative Szene träge machen?

Ja und Nein. Ein Bereich, in dem es auch mit öffentlichen Geldern gut funktionieren kann, ist die Filmförderung. Dort haben wir mittlerweile eine Generation von Filmemachern, die erfolgreiche Filme für ein großes Publikum machen und gleichzeitig auf den Festivals als kreative Filmemacher wahrgenommen werden. Wenn das das Ziel des Einsatzes von öffentlichem Geld ist, habe ich damit überhaupt kein Problem. Und ich glaube, dass die Trägheit, die dadurch ausgelöst wird, durch den Wettbewerb der Akteure wieder ausgeglichen wird.

Welche Bedeutung hat das Reeperbahn-Festival für die Hamburger Szene?

Das ist ein Schritt zum richtigen Zeitpunkt, um das Profil der Stadt als Festivalstadt zu schärfen. Es eröffnet den Kreativen Raum, um Neues auszuprobieren: Gerade weil die Musikwirtschaft auf den Live-Bereich setzt, um Geld zu verdienen, sinkt dort die Experimentierfreudigkeit. Das Reeperbahn-Festival ist da eine Ermutigung, an die Kreativität der Branche zu glauben. Es investiert in die Vielfalt.

Worin sehen Sie den Reiz des Reeperbahn-Festivals für das Publikum?

Das Publikum kann sich dort einen Überblick verschaffen. Man kann mit einem Ticket in alle Konzerte gehen und mit sich selbst experimentieren: Man macht im Prinzip Live-Radio, weil man das Knöpfchen immer weiter drehen kann.

Beim Reeperbahn-Festival (25. bis 27. 9.) spielen über 130 Bands in den Clubs auf der Reeperbahn. Mehr Infos: Heutige Terminseite der taz

Fotohinweis:HARDY DREIER, 42, erstellte am Hans-Bredow-Institut der Uni Hamburg unter anderem eine Studie zur Hamburger Musikwirtschaft