Ertränkungserfahrung bleibt diffus

„Nach Bayeux“ des jungen Autors Daniel Mursa im Neuen Cinema handelt von der Unmöglichkeit, tief gehende Erlebnisse in Worte zu fassen – und von der Unglaublichkeit eines Zusammenlebens

Maisch (Edith Adam) und ihr Mann Olz (Kai Hufnagel) leben zusammen an einem Ort, wo es immer regnet. Trist scheint auch ihre Beziehung. Sie haben verlernt, miteinander zu sprechen, sich über Wesentliches auszutauschen. Maisch lebt in ihrer Welt, taucht ab in eine andere als die Konsensrealität. Mal ist sie ganz tief unten, mal dümpelt sie knapp unter der Realitätsoberfläche. So wie damals im richtigen Meer. Als Olz versucht hat, sie zu ertränken, im Urlaub in Bayeux. Seitdem ist Maisch innerlich auf Distanz gegangen. Dafür hat sie das Mädchen Rosa (in abwechselnder Besetzung: Lisa Bloßfeld / Rona Özkan) um sich. Als Hoffnungsträgerin, alter Ego, als Rettungsanker der Gefühle, als Lebenssinn.

Der Text des 23-jährigen Daniel Mursa, Autor von Nach Bayeux, das jetzt im Neuen Cinema aufgeführt wird, lässt offen, ob Rosa tatsächlich oder nur in Maischs Phantasiewelt existiert. „Es gibt viele Interpretationsmöglichkeiten“, betont der Student vom Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Regisseur Benjamin Walther hat sich mit seiner Inszenierung für eine real existierende Rosa entschieden. „Es gibt ein Kind auf der Bühne. Es soll klar werden, dass Olz das Kind von der Straße geholt hat, um Maisch eine Chance zu geben“, erläutert Dramaturg Michael Müller. „Auch das Wassermotiv ist in der Inszenierung nicht so stark, aber erkennbar.“

Theaterpädagoge Müller ist zuständig für die Stücke im „Jungen Schauspielhaus“. In Nach Bayeux habe er sich auf den Werkstatttagen im Sommer vergangenen Jahres gleich verliebt, sagt er. „Das Stück ist sprachlich unheimlich genau. Und klug gebaut, weil die Handlung anfangs sehr offen ist, bis klar wird, dass Olz versucht hat, seine Frau umzubringen.“

Kunstvoll versteht es Mursa, die Sprachlosigkeit zwischen den Eheleuten und sprachtheoretische Überlegungen zu verweben, wenn Maisch beispielsweise über das Alphabet sinniert: „Vielleicht muss man in seinem Leben soundso viel Mal das Alphabet vergessen, dass man richtig sprechen kann, ich meine, damit man alles nochmal überdenkt, was man da eigentlich sagt.“

Maisch vermag ihre Situation theoretisch durchaus zu analysieren, doch die Ertränkungserfahrung bleibt ihr sprachlich unzugänglich. Wie alle Stücke des „Jungen Schauspielhauses“ gibt es auch von Nach Bayeux eine Schulvorstellung. „Das ist eine Herausforderung für die Jugendlichen“, verspricht Müller. „Wer da mitgeht, kann sehen, was Theater bewegen kann.“ Der Dialog zwischen Publikum und SchauspielerInnen im Anschluss an die Aufführung ist Müller wichtig. Diese Auseinandersetzungen eröffnen ihm „den Blick von jungen Menschen auf unsere Zeit. Jugendliche benutzen eine ganz direkte Sprache. Die halten mit nichts hinterm Berg.“

Im Gegensatz zum traditionellen Jugendtheater versucht das „Junge Schauspielhaus“ „ohne pädagogischen Zeigefinger auszukommen. Es geht um offene Strukturen und darum, jungen Theaterleuten ein experimentelles Feld zu schaffen, wo sie sich erproben können.“ Katrin Jäger

Premiere: Donnerstag, 16. Januar, 20 Uhr, Neues Cinema