„Ich segle hart am Wind“

Der designierte Fraktionsvorsitzende der Berliner Grünen, Volker Ratzmann, will nicht mehr polarisieren, sondern moderieren. In der Opposition will er keine leeren Versprechungen machen

Interview UWE RADA

taz: Herr Ratzmann, die Fraktionssitzung der Grünen hat am Dienstag fünf Stunden gedauert. Hat Oliver Schruoffeneger, bis dato Ihr Konkurrent um den Fraktionsvorsitz, so lange gekämpft?

Volker Ratzmann: Wir haben darüber geredet, mit welchen personellen Konstellationen der Vorstand die Fraktion am besten vertreten kann. Das dauert seine Zeit.

Oder hat es so lange gedauert, weil es Ihretwegen großen Diskussionsbedarf gab?

Wir haben mehr darüber geredet, wie sich die Fraktion in Zukunft besser präsentiert. Die Inhalte standen da mehr im Vordergrund als die Personalien.

So heißt es immer. Ist Volker Ratzmann jemand, der eher integriert oder polarisiert?

Aufgrund meiner Vita und meines Einstiegs in die Politik habe ich sicher zur Polarisierung beigetragen. Ich glaube aber, dass ich als Mensch eher ein moderierender Typ bin. Und ich habe den Anspruch, die gesamte Fraktion mit zu vertreten. Dabei sollen aber auch die verschiedenen Positionen zusammengeführt werden. Nicht unbedingt um Formelkompromisse zu machen, sondern um klare und tragfähige Grundlagen zu schaffen.

Mit Ihnen und Sibyll Klotz werden zwei Linke an der Fraktionsspitze stehen. Für die Realos ist das sicher ein harter Brocken.

Meine Erfahrung aus dem vergangenen Jahr ist, dass wir überhaupt kein Links-rechts- oder Realo-Fundi-Schema mehr haben. Wir führen Auseinandersetzungen um Sachfragen, nicht um Ideologien. Das muss auch so sein, um in der Stadt und für die Stadt die Oppositionsrolle auszufüllen.

Die Fußstapfen, in die Sie zu treten haben, sind sehr groß. Wie wollen Sie die ausfüllen?

Mit meinen eigenen Schuhen.

Woher nehmen Sie die Gewissheit?

Ich habe nicht den Anspruch, eine ausgetretene Spur weiterzugehen. Ich glaube vielmehr, dass es uns, als Vorstand insgesamt, gelingen muss, die Spur, die wir gelegt haben, weiterzugehen und trotzdem unsere eigenen Fußstapfen draufzusetzen.

Es fehlt der große Redner Wolfgang Wieland.

Er wird auch weiterhin der große Redner bleiben.

Also gar kein richtiger Wechsel, zumindest nicht nach außen hin?

Bei wesentlichen Debatten hat in der Vergangenheit auch Sibyll Klotz gesprochen. Das wird sie auch weiter tun.

Sie selbst haben ja mit Ihrem Eintritt ins Parlament vor einem Jahr und Ihrer bevorstehenden Wahl nun als Fraktionsvorsitzender eine grüne Blitzkarriere hingelegt. War das beabsichtigt?

Beabsichtigt? Ich neige schon dazu, Dinge, die ich anfange, voll und ganz zu machen. Ich suche die Herausforderung. Als Segler macht man das nun mal so. Ich bin einer, der immer hart am Wind segelt, das ist einfach mein Naturell.

Vor Ihrem Einstieg in die Landespolitik hat man Sie vor allem auf Demonstrationen gesehen, an der Seite von PDS-Politikern wie Udo Wolf.

Udo Wolf ist ein alter Freund von mir, das wird er auch weiterhin bleiben, obwohl er in einer anderen Fraktion ist. Seit er 1990 zur PDS ist, sind wir politisch getrennte Wege gegangen. Ich werde mich aber auch weiter auf Demonstrationen mit ihm sehen lassen, da habe ich keine Scheu.

Ist ein Fraktionsvorsitzender Ratzmann der Garant dafür, dass es in Berlin auf absehbare Zeit keine schwarz-grüne Option geben wird?

Der beste Garant dafür ist die CDU selbst. Wie sie sich im Moment entwickelt, ist absehbar, dass es da kaum Gemeinsamkeiten gibt, gerade in der Innen- und Flüchtlingspolitik. Als generelles Modell will ich eine solche Option aber nicht ausschließen.

Die Berliner Grünen haben derzeit wieder gute Umfragewerte. Noch vor kurzem haben viele befürchtet, dass sie zwischen dem Senat und der CDU zerrieben werden.

Wir haben von Anfang an gewusst, dass wir eine sehr schwere Situation haben werden. Gleichzeitig haben wir das aber auch als Chance begriffen. Das heißt, wir unterstützen den Senat, wenn wir mit ihm übereinstimmen. Dort, wo sich andere, grüne Handlungsmöglichkeiten eröffnen, werden wir die Oppositionsrolle allein ausfüllen. Und schließlich scheuen wir uns in den Fällen, in denen wir mit der FDP und der CDU übereinstimmen, auch nicht, mit denen zusammenzuarbeiten.

Das Mehr an Umfragewerten bei den Grünen ist zugleich ein Weniger bei der PDS. Haben Sie Vertrauen zurückgewonnen?

Ja.

Weshalb?

Weil wir authentisch geblieben sind. Wir sind nicht wie die CDU, die ja sehr populistisch versucht, auf die negative Stimmung, die der SPD und der PDS entgegenschlägt, zu setzen. Das haben wir nicht mitgemacht. Wir wollen nichts versprechen, was wir nicht auch umsetzen können.

Könnten Sie in der Koalition die Übernahme des Tarifvertrags im öffentlichen Dienst umsetzen?

Es geht nicht um die lineare Übernahme des Tarifergebnisses, sondern um einen wirklichen Solidarpakt. Es muss zum einen nach sozialen Kriterien differenziert werden, also keine Nullrunde bei unteren und mittleren Einkommen. Es muss aber auch Einsparungen geben, nicht nur um den Haushalt zu konsolidieren, sondern auch um mit Arbeitsumverteilung Ausbildung und Neueinstellungen zu ermöglichen. Doch dazu sind wohl weder der Senat noch die Gewerkschaften bereit.