dieter baumann über Laufen
: Blubbt das Handy, schweigt der Ibis

Natur, Stille und Langsamkeit – all das bietet das schöne Nyahururu in Kenia, zumindest theoretisch

Es gäbe viele Gründe, die ich aufzählen könnte, warum ich wieder zur Vorbereitung nach Kenia aufgebrochen bin. Die warme afrikanische Sonne, die Lage auf 2.400 Meter Höhe, die Landschaft oder die freundlichen Menschen. Begleitet wurde ich – erstmals – von sechs deutschen Kollegen, die dafür sorgen sollten, dass es im Training nicht langweilig würde. Die Aufmerksamkeit der jüngeren Athleten galt bei unserer Ankunft allerdings keineswegs der Höhenanpassung, dem sauberen Trinkwasser oder dem richtigem Essen. Nein, schon bei Ankunft in Nairobi hatten sie nur eines im Sinn: ihre Handys.

Kaum waren wir aus dem Flieger gestiegen, hielten sie mir ihre empfangsbereiten Dinger entgegen, und auf der dreistündigen Fahrt nach Nyahururu, unserem Trainingsort, nahm ihr Jubelgeschrei kein Ende mehr. SMS-empfangsbereit auf der ganzen Welt, ich konnte es nicht fassen. Für mich war es immer auch ein wichtiger Grund hierher zu reisen, für kurze Zeit dem Schnellgang Europas zu entfliehen. Kein Telefon, kein Fax, kein Handy und keine E-Mail, das war Kenia für mich. Einfach herrlich. Meist sitze ich in diesem schönen grünen Garten, werfe einen Blick hinüber auf die andere Talseite zu den riesigen Urwaldbäumen, lausche dem Rauschen des Wasserfalls, der diesem Ort seinen Namen „fallendes Wasser“ gegeben hat, und genieße ein kleines Stück Unerreichbarkeit.

Der ganz spezielle Zauber des Ortes, an dem ich früher meine Seele baumeln lassen konnte, war mit dieser SMS-Manie einfach weg. Die Jungs freuten sich. In einer ungeheuerlichen Geschwindigkeit und einer für mich unvorstellbaren Fingerfertigkeit – nur mit dem Daumen! – wurde getippt und gefuchtelt, dass es mich ganz schwindlig machte. Es entstanden Texte, wie: „Gut angekommen, tolles Wetter, Training gut.“ Was heißt: Training gut? Wir waren doch gerade erst angekommen, dachte ich. Gleich zu Beginn führten sie mir, dem ahnungslosen Mann, handylos hinterm Mond lebend, vor, mit welchem Sound eine SMS zu empfangen ist. Die Auswahl ist wirklich bemerkenswert: ein wildes Kikeriki, das Getöse eines Rennautos, Beethovens Fünfte oder das in der Gruppe favorisierte „Blubb-Blubb“. Ein lautes Auftauchen von Luftblasen oder das Sinnbild für (inhaltslose) Sprechblasen? Was auch immer, jedenfalls fiel die Entscheidung auf „blubb-blubb“.

Und nun tippt also immer einer aus der Gruppe auf seiner Tastatur herum oder späht nach neuen Botschaften. Seither „blubbt“ es beim Frühstück genauso wie beim gemütlichen Tee am Nachmittag, bei Trainingsbesprechungen oder auch beim obligatorischen Bitter Lemon an der Bar. Immerzu und überall macht es „blubb-blubb“, und über jede Luftblase, die aus den Taschen aufsteigt, entsteht ein lautes Lachen und Feixen. Wie ich schon sagte, irgendwie ist der Zauber weg. Nur beim Laufen herrscht Ruhe. Kleine, lehmige Wege führen uns durch eine wunderschöne Landschaft. Vorbei an kleinen Hütten, die im Nirgendwo zu liegen scheinen, und an Schulen, die nur aus ein paar Brettern bestehen. Die vielen Kinder schmettern uns ihr fröhliches „How are you? How are you?“ entgegen.

Bei einem unserer ersten Läufe genoss ich diesen Kontrast zur Handymanie meiner Kollegen und dem ewigen „Blubb-Blubb“. Wir liefen entlang der vielen Tümpel und kleinen Seen rund um den Wasserfall, die geradezu eine wahnsinnige Geräuschkulisse bildeten. Es war ein großes Konzert von vielen Fröschen, von einem Singen und Schreien von Vögeln und Tieren, die ich nicht identifizieren konnte. Ein wahres Spektakel, das mich faszinierte. Kaum kamen wir mit lautem Getrampel, Gelächter und Geschwafel etwas näher ans Wasser, verstummten alle abrupt. Eine unheimliche Stille legt sich über das Wasser. Aus der Ferne hörten wir nur die schrillen Schreie der Ibisse. Ein wahres Hohngelächter in meinen Ohren. Ganz nahe am Wasser verlangsamten wir unser Tempo, blieben kurz stehen und hörten nochmals gebannt nach den fremden Lauten. Aber nichts, kein Froschgesang und kein Zwitschern mehr, alle waren scheinbar abgetaucht, und es herrschte einfach Stille. Ganz verzaubert verharrte ich mit meinen Kollegen, es war wunderschön. Plötzlich, in diese Stille hinein, hörten wir leise, aber deutlich ein „Blubb-Blubb“, dann wieder Stille. Verwirrt drehte ich mich um und fragte: „Was ist das?“ Die anderen schauten sich an und hauten sich lachend auf die Schenkel: „Eine SMS aus Deutschland.“

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