Der teure Aufbruch in Hannover

160 Millionen Euro zusätzlich hat Niedersachsen in die Bildung gesteckt – durch Neuverschuldung. Das könnte Sigmar Gabriel das Amt kosten

HANNOVER taz ■ Studierter Gymnasiallehrer ist der niedersächsische Ministerpräsident. Schon bei seinem Amtsantritt hatte Sigmar Gabriel (43) die wesentlich der Bildungspolitik geschuldete SPD-Niederlage in Hessen 1999 als warnendes Beispiel vor Augen. Er machte daher von vornherein „einen Aufbruch bei Bildung und Erziehung“ zum Politikschwerpunkt.

Dabei wusste der SPD-Politiker von vornherein, dass der Unterrichtsausfall an den Schulen des Landes ohne mehr Mittel nicht zu drücken war. Bereits in seiner ersten Regierungserklärung vor dem niedersächsischen Landtag kündigte Gabriel 1.000 zusätzliche Lehrerstellen an. Seitdem wurden 160 Millionen Euro mehr in den Bildungshaushalt eingestellt, insgesamt stellte das Land in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode 15.000 junge Lehrer ein, dafür wurden über 3.000 zusätzliche Stellen geschaffen.

Natürlich steht die niedersächsische Schul- und Bildungspolitik bis heute weiter in der Kritik konservativer Eltern- oder Lehrerverbände. Allerdings hat Gabriel einen CDU-Bildungswahlkampf verhindern können. Auf die Unterrichtsgarantie, die in Hessen propagiert wurde (siehe oben), reagierten Gabriel und seine Kultusministerin Renate Jürgens-Pieper mit der „verlässlichen Grundschule“, die bis Klasse 4 den Aufenthalt der Kinder in der Schule bis zum Mittag garantiert. Wenn Unterricht ausfällt, übernehmen allerdings vor allem Aushilfskräfte statt ausgebildeter Lehrer die Betreuung der Kinder.

Der Kritik am niedersächsischen Schulsystem nahm der SPD-Ministerpräsident vor allem durch die Abschaffung der selbstständigen Schulform der Klassen 5 und 6, der Orientierungsstufe, die Spitze. Die neue, an die verschiedenen weiterführenden Schulen angebundene Förderstufe sieht in den 5. und 6. Klassen aller Schultypen gleiche Inhalte vor. Die Grünen wollen zu Recht den früheren Beginn der Selektion der Schüler, der allen Pisa-Empfehlungen widerspricht, nicht mitmachen und haben schon für den Fall einer rot-grünen Koalition eine Revision des gerade geänderten Schulgesetzes angekündigt.

Fest steht: Gabriel hat die zusätzlichen Bildungsausgaben nicht durch Umschichtungen oder Einsparungen finanziert, sondern die Netto-Neuverschuldung ordentlich in die Höhe getrieben. Seine Idee, über die Wiedereinführung der Vermögensteuer mehr Mittel für die Bildung zu mobilisieren, hat bekanntlich der Kanzler selbst zu den Akten gelegt und damit auch dem von Gabriel eigentlich geplanten Bildungswahlkampf den Todesstoß versetzt.

Ob nun über die von Rot-Grün geplante Repatriierung von Steuerfluchtgeld tatsächlich eine Milliarde Euro in die Landeskasse fließen wird, ist fraglich. Gabriel jedenfalls will das Geld in einer Bildungsstiftung anlegen, was haushälterisch gesehen allerdings wenig Sinn macht. Schließlich zahlt das Land für seine Schulden, die man ja auch mit der Milliarde reduzieren könnte, einen ordentlichen Zinssatz, der die Rendite auf ein Stiftungskapital sicher überstiege. JÜRGEN VOGES