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: Seht, was euch passieren wird, wenn ihr diese Lieblingsmetropole verlasst

Expedition ins Bierreich

Mit den Lieblingsmetropolen ist es wie mit den Freunden: Man weiß erst, was einem fehlt, wenn man sie verloren hat. Nehmen wir Berlin. Ich selber bin ja höchstzufrieden mit Berlin, das betone ich stets und ungefragt. Mich nerven weder Schreiereien auf meinem Hinterhof, von denen ich nur „Ick lieb dir, du Votze!“ verstehen kann, noch stört es mich, wenn die Hebamme meiner hochschwangeren Freundin ein drohendes „Ick hab doch jerade jesacht, dass man schon dit Köpfchen sieht!“ mit in den Notarztwagen gibt.

Nein, das alles ist prima und gehört dazu. Keine Ahnung also, warum nölige FreundInnen immer wieder über die beste Metropole auf Gottes verdreckter Erde lästern und behaupten, sie bekämen einen „Koller“ und müssten „weg“ und ganz schnell nach Paris oder London oder Wien oder Warschau auswandern, denn man langweile sich beim Ausgehen und kulturmäßig.

[Interlude: Als der Zufall mich letzte Woche in eine S-Bahn verschlug, die von Essen über Gelsenkirchen-Buer und Bottrop-Boy nach Marl-Mitte zuckelte, konnte ich während der Fahrt auf einem großen Plakat lesen, was kulturmäßig in anderen Gegenden geplant ist. Januar: Das große Schlagerfestival. Februar, März: Nichts. April: Waffenbörse, ein Muss für jeden Waffensammler. Juli: The Rolling Stones (und das auch noch 100 km entfernt). August: irgendein Populär-Oper-Scheiß. Und so weiter.

Ich dachte mir, wahrscheinlich würden die Bottrop-Boy-Boys sich einen zweiten Bauchnabel über jeden in Berlin höhnisch verlachten Easy-Listening-DJ freuen, vermutlich schon, wenn jemand überhaupt mal etwas anderes auflegt als Hardcore und Hardrock, und einen den Alltag mit vormittags Schule und Zocken und nachmittags Crack vergessen macht. Dass man mich da nicht falsch versteht. Natürlich habe ich keine Ahnung, wie und worauf Jugendliche in Bottrop-Boy drauf sind. Sie reden ja nicht mit mir, außer nuschelige Sätze wie „Ey, hast du Kohle?“. Ha. Schon wieder übertrieben.]

Um auf die Lieblingsmetropole zurückzukommen: Auf einer meiner „Expeditionen ins Bierreich“, wie ich die allabendlichen Schlendriane durch Berliner Gassen mal schenkelklopfend nennen möchte, habe ich neulich einen alten Freund getroffen, der ein Jahr lang auf Montage in Wien geweilt hatte. Er war damals freiwillig von dannen gezogen, aus eingangs schon erwähnten Gründen plus Jobverbesserungen, kam mir bei unserem Wiedersehen allerdings weiser vor als je zuvor. Nie wieder gehe ich weg, sagte er, ich habe mich während meiner österreichischen Klausur so allein gefühlt, dass ich mir sogar einen Hund angeschafft habe. Wie, sagte ich, ich dachte, du hasst Tiere und magst Tierversuche?

Jaha, sagte er, aber in Wien lernt man niemanden kennen, wenn man nicht vereinsamen möchte, muss man mit dem Strom schwimmen und sich auch so einen Köter besorgen. Hast du ihn denn jetzt wenigstens draußen ausgesetzt, als es so kalt war? fragte ich. Von wegen, sagte er, ich habe mich an ihn gewöhnt, die Töle ist so prima eingleisig, der kann immer nur eine Sache denken: Spazieren gehen, spazieren gehen, spazieren gehen, oder Stöckchen, Stöckchen, Stöckchen, oder wo ist Herrchen, wo ist Herrchen, wo ist Herrchen, das ist nett überschaubar! Ich muss jetzt auch gehen, hab ihn draußen angebunden.

Erstaunt schaute ich durch das Fenster, wo erwartungsvoll ein Hündchen zitterte und „er kommt gleich wieder, er kommt gleich wieder, er kommt gleich wieder!“ wedelte. Sieh, was das Weggehen aus dir gemacht hat, rief ich meinem alten Freund in Gedanken zu, als er sich, der freudig herumspringenden Töle „ja wir gehen nach Hause, ja wir gehen nach Hause, ja wir gehen nach Hause!“ zumurmelnd, auf den Weg machte. Aber auf mich hört ja keiner. JENNI ZYLKA