Offenes Klima – mit einer Ausnahme

Eine kongolesische Familie, die seit elf Jahren in der Stadt Brandenburg lebt, soll am Montag abgeschoben werden. Eigentlich könnte für sie die Altfallregelung gelten. Ein entsprechender Antrag wird seit einem Jahr nicht bearbeitet. Nun wollen Freunde die Abschiebung verhindern

Die ungleichen Familien kamen zeitgleich nach Brandenburg an der Havel. Andrea-Carola und Fritz Rudolf Güntsch, Ministerialdirektor im Ruhestand, Informatikprofessor und prominenter Computerpionier, zogen 1992 aus Baden-Württemberg in die Heimatstadt des Ehemanns. „Wir waren beeindruckt von dem offenen Klima“, sagt Andrea-Carola Güntsch. Mit einer Einschränkung: „Überall treffe ich auf freundliche Menschen, nur nicht in der Ausländerbehörde!“

José Ndualu, Kunststudent aus Kinshasa, kam im Mai 1992 unfreiwillig in die Havelstadt. Der damals 23-Jährige floh nach Deutschland, nachdem er an der Universität in Kinshasa Proteste gegen ein Massaker der Regierungstruppen an Studierenden und Lehrkräften organisiert hatte. Weil José und wenig später seiner Ehefrau Clara die Flucht nach Europa gelang, ließen Mobutus Soldaten ihren Zorn an der im Kongo verbliebenen Familie aus. Eine Schwester und die Mutter wurden öffentlich vergewaltigt; 1999 gipfelte der Terror in der Ermordung der Mutter.

Kontakt mit Deutschen hatten José und Clara Ndualu in den ersten fünf Jahren ihres Aufenthalts in Brandenburg-Stadt kaum. Die soziale Isolation, die mit dem reglementierten Heimleben von Asylsuchenden einhergeht, brach erst auf, als das kongolesische Ehepaar im Jahr 1997 nach der Geburt ihres Sohnes im Standesamt zufällig auf das Ehepaar Güntsch traf. Seitdem, sagt Andrea-Carola Güntsch, „ist die Familie in unseren Freundeskreis einbezogen und gut integriert“. Der sechsjährige Glody und der dreieinhalbjährige Rudolf Dovny besuchen einen städtischen Kindergarten und sprechen fließend Deutsch.

Nun ist das Engagement der Güntschs buchstäblich die letzte Hoffnung für die Freunde. Geht es nach der Ausländerbehörde der Stadt Brandenburg, soll die Familie Ndualu am Montag in die Demokratische Republik Kongo abgeschoben werden. Denn ihre Asylanträge sind letztinstanzlich abgelehnt. Und einen Antrag auf eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung nach der so genannten Altfallregelung hat die Ausländerbehörde im Oktober 2001 abgelehnt. Zu Unrecht, davon ist Rechtsanwalt Stefan Gräbner überzeugt. Denn die Familie erfülle die Bedingungen für „Altfälle“ nahezu mustergültig: Sie sei integriert, ohne Vorstrafen und lebe in einer eigenen Wohnung. Clara Ndualu Kamisa arbeitet seit Anfang 2002 als Zimmermädchen in einem Potsdamer Hotel.

Eine Antwort auf den Widerspruch gegen die Entscheidung der Ausländerbehörde, den die Familie im November 2001 einlegte, haben die Ndualus auch zwölf Monate später noch nicht in der Hand. Gespräche, die das Ehepaar Güntsch, die PDS-Landtagsabgeordnete Petra Faderl und Gräbner in den letzten Monaten mit der Ausländerbehörde und Brandenburgs Oberbürgermeister Helmuth Schmidt (SPD) führten, blieben ebenso ergebnislos wie eine Dienstaufsichtsbeschwerde. „Nach außen hin wird Entgegenkommen signalisiert, aber in Wirklichkeit wird weiter die Abschiebung vorbereitet“, sagt der Rechtsanwalt. Faderl kritisiert, man habe „nicht zeitnah genug gearbeitet“ und nutze „aus Angst vor dem Potsdamer Innenministerium“ den Ermessensspielraum nicht.

Der taz ließ Oberbürgermeister Schmidt ausrichten, er werde in der nächsten Woche prüfen, warum die Ausländerbehörde den Widerspruchsantrag der Ndualus seit über einem Jahr nicht bearbeitet hat. Um zu verhindern, dass die Familie dann schon im Flugzeug nach Kinshasa sitzt, hat Rechtsanwalt Gräbner gestern einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Potsdam gestellt. Andrea-Carola Güntsch sagt, „die Schikanen“ der Ausländerbehörde dürften nicht zum Erfolg führen.

HEIKE KLEFFNER