Vom Ende des „Weiter so“

Die erste Regierungserklärung des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) nach seiner Antrittsrede im Februar hatte nur ein Thema: den Tarifstreit mit den Gewerkschaften. Neu war nichts

von PHILIPP GESSLER

Ach, August Bebel! So er nicht im Arbeiter-und-Bauern-Paradies ist, müssen seine sterblichen Überreste auf dem Zentralfriedhof von Zürich im Sarg rotieren angesichts des Geschehens, das sich gestern im Abgeordnetenhaus von Berlin abspielte. Zu besichtigen war ein SPD-Landeschef, der seine erste Regierungserklärung nach seiner Antrittsrede vor einem Jahr dazu nutzte, die Gewerkschaften anzugreifen.

Noch zu Zeiten des alten Bebel, des legendären SPD-Vorsitzenden der Jahrhundertwende, wurden die Gewerkschaften von den Sozialdemokraten lediglich als ihr betrieblicher Arm angesehen. Erst der Mannheimer SPD-Parteitag von 1906 schrieb die Gleichberechtigung von Gewerkschaften und Partei formell fest. Noch heute sollen von den Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion rund 95 Prozent gewerkschaftlich organisiert sein – und von den hauptamtlichen Vorstandsmitgliedern der DGB-Gewerkschaften besitzen rund 80 Prozent das Parteibuch der SPD.

Doch von Nähe zu den Arbeitnehmervertretern war im Landesparlament nichts zu spüren: Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) nutzte seine gut 30-minütige Redezeit nicht zu einer Einjahresbilanz über die Arbeit seiner Regierung, wie sein Opponent, CDU-Fraktionschef Klaus Steffel, zu Recht anmerkte. Thema der Rede war „Die Zukunft des öffentlichen Dienstes und die Tarifverhandlungen in Berlin“.

Und darum ging es denn auch in erster Linie: Wowereit appellierte an die Gewerkschaften Ver.di und Co., flexibel auf die desaströse Finanzsituation der Stadt einzugehen. Nötig sei dabei, das Ideal der Solidarität neu zu definieren: „Solidarität ist heute vor allem eine Frage des Ausgleichs zwischen den Arbeitsplatzbesitzern und denen, die keinen Job haben.“ Das heißt übersetzt in die Sprache der Landespolitik: Wowereit bat die Gewerkschaften beinahe flehentlich, bei den heute anstehenden Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Hauptstadt kürzere Arbeitszeiten zu akzeptieren – jedoch ohne „Lohnausgleich“, wie die Gewerkschaften es nennen. Also weniger Geld für weniger Arbeit.

Dazu gab es ein paar knackige Sprüche wie „Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen“, oder: „Ein ‚Weiter so‘ kann es nicht geben – das wissen wir alle.“ Alles in allem aber war das Gesagte nach Monaten des Kampfes mit den Gewerkschaften schon allzu gut bekannt – und dementsprechend lahm war die Debatte, die der Rede Wowereits folgte. Erst ab heute wieder wird Neues in das politische Leben der Stadt kommen, wenn die Regierung mit den Gewerkschaften verhandelt. „Wir nehmen die Verhältnisse nicht so hin“, sagte Wowereit, „sondern sie geben uns neue Motivation und Tatkraft.“ Vielleicht muss man ja so weit weg sein wie der alte Bebel, um davon etwas zu spüren.