Das bürgerliche Schwein macht munter weiter

Das Cochon Bourgeois in der Kreuzberger Fichtestraße wird auch in Krisenzeiten gerne besucht. Traditionelle französische Landküche und persönliche Atmosphäre ziehen Gäste an. Kontinuität hat sich hier bewährt

Die Teller sind groß, die Portionen weniger. Wer im Cochon Bourgeois gebratene Elsässer Blutwurst auf grünen Linsen bestellt, muss nicht damit rechnen, von dannen zu rollen. Schließlich ist dies erst die Vorspeise, und spätestens der arrogant angehauchte Kellner erinnert einen daran, dass man sich nicht im Landgasthof vor den Toren Straßburgs befindet, sondern in einem Etablissement mit Anspruch. Und das heißt konkret: vierzehn weiß eingedeckte Tische, ein Piano und wechselnde Ausstellungen an den Wänden, dazu eine Stuckdecke und den Hauch der Gründerzeit, der das Haus umweht.

Neben deftigen Schmorgerichten wie Bauernente mit Selleriepüree oder Kaninchenbraten im Thymianjus bietet das kleine Restaurant in der Kreuzberger Fichtestraße auch Austern oder Wachteln an. Eine Mischung, die ankommt. Im Gegensatz zu vielen anderen Restaurants der gehobenen Liga kommt das „bürgerliche Schwein“, wie der Name übersetzt heißt, derzeit erstaunlich gut über die Runden. „Seit vier Jahren hat das Personal praktisch nicht gewechselt“, versucht Besitzer Hannes Behrmann eine Erklärung zu finden. Kein Wunder, steht er doch als Küchenchef selber tagtäglich hinter dem Herd. Sein Kompagnon Dominique Marneau wiederum hält hinter dem Tresen die Stellung. Der Franzose aus einem kleinen Dorf südlich von Paris lebt seit 22 Jahren in Berlin. Wenn er in seine Heimat fährt, sucht er in erster Linie Weine aus und importiert sie dann direkt. So kann es passieren, dass man im Couchon einen Tropfen kriegt, den es sonst in der ganzen Stadt nicht gibt.

Auf diese Weise tragen die zwei selber einen großen Teil zur Kontinuität bei. „Wir haben immer den direkten Bezug zu den Gästen“, fällt dem 38-jährigen Behrmann noch ein, und „man kann seine eigenen Fehler machen“. Will heißen: War ein Gast mal nicht zufrieden, kann er sich gleich an der richtigen Stelle, bei den Chefs, beschweren.

Dass Kreuzberg nicht Mitte ist, hat sich für Behrmann und Marneau, die sich erstmals im Berliner Storch über den Weg liefen, im Nachhinein als Glücksfall erwiesen. „Die Mieten sind hier viel geringer und viele Leute haben gar keine Lust mehr, nach Mitte zu fahren“, so der Küchenchef. Dass die Fichtestraße längst keine Vorzeigemeile mehr ist, hat dem Geschäft keinen Abbruch getan. Hier hat sich seit Jahren zwar nichts zum Besseren gewendet, doch das Image, die wohlhabendere Ecke Kreuzbergs zu verkörpern, ist im Gegensatz zu Gegenden in Mitte dasselbe geblieben. In der Oranienburger Straße etwa musste im Herbst vergangenen Jahres das Michelinstern-gekrönte Adermann schließen, weil die Oranienburger Straße in den letzten Jahren mehr und mehr zur billigen Touri-Meile verkommen ist, die das zahlungskräftige Publikum mittlerweile lieber meidet.

Viel Stammpublikum aus früheren Zeiten, als sie noch im Bamberger Reiter und der Möwe gearbeitet haben, ist den Chefs des Cochon Bourgeois treu geblieben. Dass die Jungunternehmer der IT-Branche sich nicht mehr blicken lassen, weil denen das Wasser bis zum Hals steht, haben sie deshalb besser verschmerzt als manch anderes Restaurant. „Der Sommer war schwer, weil da die Politiker alle auf Wahlkampftour waren“, erinnert sich Marneau und war selber erstaunt, wie sehr das Geschäft mittlerweile auch von der Klientel aus den Ministerien lebt. Dass Gastropapst Wolfgang Siebeck mit ihrer Küche nichts anfangen kann, können sie verschmerzen. „Wer uns mag, kommt sowieso“, so Behrmann. Im Gegensatz zu anderen Gegenden der Republik lieben die Berliner scheinbar immer noch das Bodenständige.

Auf die Idee mit dem bürgerlichen Schwein als Titel für das Restaurant kam Marneau übrigens, „weil die Franzosen viel Schwein essen“. Außerdem bringe es Glück und drittens sei der Name auch eine Reminiszenz an die autonomen Steinewerfer in Kreuzberg. Nach dem Motto: Wenn Kapitalisten ihr Lokal mit einem solchen Namen versehen, können sie nicht wirklich böse sein. So hängt denn auch ein Schwein an der Wand. Rosa, im Anzug und in Öl gemalt. Bis jetzt hat es tatsächlich Glück gebracht. CHRISTINE BERGER

Cochon Bourgeois, Fichtestr. 27, Kreuzberg, Tel. 6 93 01 01, Mo.–Sa. 18–1 Uhr, bis 23.30 Uhr Küche, Menü 35–45 €, Hauptgerichte 14–20 €