„Aktive Neutralität“ ist die Devise

Offiziell spricht sich Iran entschieden gegen einen Irak-Krieg aus. Dahinter steht die Furcht, selbst Opfer eines militärischen Angriffs der USA zu werden. Gleichzeitig jedoch käme Teheran ein Regimewechsel in Bagdad durchaus gelegen

von BAHMAN NIRUMAND

Der Chef der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), Dschalal Talabani, der Anfang dieser Woche aus Washington kommend zu Gesprächen in Teheran eintraf, brachte eine beruhigende Botschaft mit: Die US-Regierung habe deutlich gemacht, sie habe nicht die Absicht, Iran militärisch anzugreifen. USA und Iran hätten „gemeinsame Interessen“, daher werde Washington im Rahmen des Irakkonflikts „nichts gegen Iran unternehmen“.

Die iranische Regierung hat immer wieder betont, dass sie eine militärische Intervention im Irak entschieden ablehnt. Denn ein Krieg werde die gesamte Region in Aufruhr versetzen. Irans Vizepräsident Resa Aref erklärte bei einem Besuch des türkischen Regierungschefs Abdullah Gül in Teheran, sein Land werde sich jeder einseitigen Kriegshandlung seitens der USA widersetzen. Aref appellierte an die Staaten der Region, bezüglich des Irakkonflikts eine einheitliche Position zu beziehen. Iran werde alles daran setzen, einen Krieg gegen Irak zu verhindern.

Doch dieser Eindeutigkeit offizieller Erklärungen stehen die tatsächlichen Interessen Irans gegenüber. Einerseits wächst die Furcht, die USA könnten nach Irak auch Iran angreifen. Mohsen Resai, hohes Mitglied im iranischen Schlichtungsrat, sagte in einem Interview mit der Tageszeitung Hajat-i No, früher hätten die USA Irak zu einem Krieg gegen Iran getrieben, um die islamische Revolution zu vernichten. „Heute schmieden sie abermals ein Komplott gegen unser Land.“ Doch die USA „sollten wissen, Iran ist weder mit Irak noch mit Nordkorea gleichzusetzen“.

Selbst wenn die USA vorerst nichts gegen Iran unternähmen, würde eine US-Militärpräsenz im Irak für die Islamische Republik eine zusätzliche Bedrohung bedeuten. Denn Irak ist unter den iranischen Nachbarn das einzige Land, in dem die USA noch keine Militärbasen besitzen. Mit dem Irak wäre eine Umzingelung der Islamischen Republik vollendet.

Auf der anderen Seite hat die Islamische Republik keinen Grund, einen Sturz Saddam Husseins verhindern zu wollen. Der achtjährige Krieg ist nicht vergessen. Weder sind die Kriegsgefangenen vollständig ausgetauscht, noch gibt es einen Friedensvertrag. Die einzige oppositionelle Organisation, die einen bewaffneten Kampf gegen die islamische Republik führt, die Volksmudschaheddin, befindet sich auf irakischem Gebiet. Sie erhält von Bagdad Waffen und Geld. Zahlreiche Terrorakte der vergangenen Jahre in Iran gehen auf ihr Konto. Ein Sturz Saddams würde die Aktivitäten dieser Organisation beenden.

Im Irak regieren die Sunniten, obwohl das Land, wie Iran, mehrheitlich von Schiiten bewohnt ist. Der religiöse Führer der irakischen Schiiten, Ajatollah Mohammad Bagher Hakim, Vorsitzender des „Hohen Rates der Islamischen Revolution im Irak“, dem 12.000 Kämpfer zur Verfügung stehen sollen, hält sich seit Jahren in Iran auf. Der Sturz Saddams würde wohl zu einer Beteiligung der Schiiten an der Macht führen. Das wäre für Iran von großem Nutzen, ein Regimewechsel beim Nachbarn daher willkommen. Diese Überlegungen haben vermutlich den Ausschussvorsitzenden für Außenpolitik und Nationale Sicherheit im iranischen Parlament, Mohsen Mirdamadi, bewogen, einen Kurswechsel vorzuschlagen. Der studentischen Nachrichtenagentur Isna sagte er, im Irak seien die nationalen Interessen Irans mehr berührt als in Afghanistan. Es sei dumm, auf Kosten der eigenen Interessen die Zusammenarbeit mit den USA zu verweigern. „Wenn wir nicht vorbeugend handeln, würden wir weiter zur Achse des Bösen zählen und nach dem Irak zum nächsten Ziel werden.“

Doch einen Schulterschluss mit den USA gegen ein anderes islamisches Land kann sich Iran – ein Land, das in der islamischen Welt einen Führungsanspruch erhebt, nicht leisten. Daher spricht man zurzeit in Iran von einer „aktiven Neutralität.“ Gemäß dieser Strategie haben Mitglieder der Reformfraktion im Parlament durchgesetzt, dass die Einladung an den irakischen Außenminister Nadschi Sabri, der diese Woche nach Teheran kommen sollte, zurückgenommen wurde. Der Parlamentsabgeordnete Nureddin Pirmosan sagte der Teheran Times: „Wir sind nicht sicher, ob Iraks Außenminister die Absicht hat, nach Iran zu kommen. Sollte er aber seinen Fuß auf iranischen Boden setzen, werden wir Außenminister Charrasi zur Verantwortung ziehen.“ Etwa hundert Abgeordnete schlossen sich dem Protest Pirmosans an.

Indes bereitet sich Teheran auf den Krieg vor. Innenminister Mussawi Lari erklärte, Iran werde im Falle eines US-Angriffs seine Grenzen für Flüchtlinge nicht öffnen. Sein Land habe in den letzten Jahren mehr als zwei Millionen afghanische Flüchtlinge aufgenommen. Doch Iran plane die Einrichtung von Pufferzonen entlang der Grenze zum Irak. Dort könnten Flüchtlinge auf irakischem Gebiet versorgt werden.