Bremer macht Druck gegen Piraten

Mit Sonarkanonen will der Bremer Reeder Niels Stolberg Piraten von seinen Schwergutfrachtern entfernt halten. Schließlich sei er für Leib und Leben seiner Besatzung verantwortlich, sagt der Selfmade-Mann. Und die Politik, die sei schlicht zu langsam

von BENNO SCHIRRMEISTER

Oft verschweigen Reeder Piraten-Überfälle: Das Vertrauen der Kunden könnte leiden. Niels Stolberg ist da anders. Ende August war der Gründer der Bremer Beluga Shipping GmbH wegen seines vor Somalia entführten Schwergutfrachters in allen Medien. Momentan sorgt er mit Sonarkanonen für Aufsehen: Über dpa hat er angekündigt, seine Flotte damit auszustatten, zum Schutz vor Seeräubern. Vier der 57 Frachter sollen bis Mitte Oktober bestückt sein. Sie passieren bald den Golf von Aden – die ostafrikanische Küste. Er habe „eine Sorgfaltspflicht für die Mannschaften an Bord“, so Stolberg. Er könne „nicht auf politische Missionen warten, die frühestens am Ende des Jahres starten“. Das sei keine Bewaffnung, sondern eine Ausstattung mit „adäquaten Werkzeugen“ – damit es „gar nicht erst zu gewalttätigen Kaperungen kommen kann“.

Verständlich. Stolberg hat, wie gesagt, eine Entführung gerade hinter sich: Mitte September ist sie zu Ende gegangen, unblutig. Aber Zweifel an der pazifizierenden Wirkung der Schallkanonen sind begründet, sagt Johannes M. Becker. Der Geschäftsführer des Marburger Zentrums für Konfliktforschung hat als Ex-Soldat auch persönlich Erfahrung mit akustischen Verteidigungssystemen. „Ich lehne das als Konfliktforscher total ab“, sagt er. „So etwas kann und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Eskalierungseffekt haben.“

Einschätzung, die Dieter Berg nicht teilt. Der Chef der Abteilung Corporate Underwriting beim Münchener Rückversicherungskonzern leitet dort auch das Projekt Piraterie. „Die Sicherheit der Transportwege ist die Grundlage unseres Geschäfts“ erklärt er das Interesse seines Konzerns am Thema. „Wir empfehlen den Weg zu solchen defensiven Systemen.“ Im Jahr 2006 hat er eine Studie vorgelegt, „Piraterie – Bedrohung auf See“ heißt die. Seither seien die Überfälle „immer brutaler“ geworden, sagt Berg. Die Seeräuber seien, von „extremer krimineller Energie“ beseelt. Viele hätten zudem eine „hervorragende militärische Ausbildung“ – und „schwer bewaffnet“ sind sie immer: „bis hin zu Granaten- und Raketenwerfern“ gehe das, so Berg.

Beim Überfall auf Stolbergs BBC Trinidad waren mindestens sieben Kalaschnikows und zwei Panzerfäuste im Spiel. Pro Tag, so hat der Reeder dem Spiegel anvertraut, bedeutet eine Entführung 25.000 US Dollar-Verlust. Die branchenübliche Loss-of-Hire-Versicherung deckt „eine vereinbarte Anzahl von Ausfalltagen“ ab, heißt es in Bergs Studie „Piraterie – Bedrohung auf See“. Gezahlt hat Stolberg zudem eine Million Dollar Lösegeld. Und die Experten eines englischen Sicherheitsunternehmens, die er für den Krisenstab angefordert hatte, werden auch nicht nur für Gotteslohn gearbeit haben. Eine Sonarkanone kostet 30.000 Dollar. Es gehe, wiederholt Stolberg, „um Leib und Leben“ der Besatzung. Aber auch der eigene Kaskoversicherer empfehle den Einsatz von Schallkanonen, so Stolberg, „bis die politischen Entscheider den eingereichten Forderungen konkret nachkommen“.

Die Politik, daraus macht Stolberg kein Geheimnis, ist ihm zu „unflexibel und langsam“. Bei der BBC-Trinidad-Entführung hatte er den Verteidigungsminister ultimativ aufgefordert binnen vierzehn Tagen mit der Marine anzurücken. Deshalb auch seine offensive Öffentlichkeitsarbeit: Er will, „den Druck auf die politischen Entscheidungsträger aufrechterhalten“.

Stolberg ist ein klassischer Selfmade-Millionär. Bemerkenswert ist sein Talent, Geschäft und humanitäres Engagement zu verbinden: Seine Beluga School for Live, unmittelbar nach dem Tsunami 2004 in Thailand initiiert, ist längst auch Tourismus-Destination – als Charity-Travels werden die Reisen ins Hilfsprojekt angepriesen. Atemberaubend die Geschwindigkeit, in der er seine Geschäfte entfaltet: Seine 1995 gegründete Reederei macht seit Jahren über 100 Millionen Euro Umsatz. Auf Spiekeroog hat er 1999 ein Häuschen gekauft. Mittlerweile betreibt er dort mehrere Hotels. Die halbe Insel soll ihm schon gehören. Auch in Bremen prägt er schon das Stadtbild: In zentraler Lage wächst sein neuer Firmensitz, im Weserstadion präsentiert Beluga Shipping die Ecken von Werder, der lokale Energieversorger hat den Unternehmer des Jahres 2006 als Werbefigur entdeckt. Wo man hinkommt, Stolberg ist irgendwie mittlerweile da. Und alles ist legal.

Auch die Sonarkanonen, versteht sich: „Das ist eine normale Notwehr-Maßnahme“, sagt der Hamburger Völkerrechtler und Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion Norman Paech. „Das kann ihm keiner verwehren.“ Und tatsächlich ist die Lage vor Somalia unerträglich. Allein im laufenden Jahr hat das International Maritime Bureau 59 Piraten-Angriffe vor Somalia registriert. Nur Todesfälle gab es seit Jahren nicht.

Der UN-Sicherheitsrat hat im Juli den westlichen Streitkräften Carte blanche gegeben „innerhalb der Hoheitsgewässer Somalias Maßnahmen zur Bekämpfung seeräuberischer Handlungen“ zu ergreifen. Bis Ende des Jahres wird die EU ein Mandat erteilen. Dann wird der Bundestag über eine Beteiligung debattieren.

Dass die Wurzeln des Konflikts damit nicht berührt werden muss allen klar sein: Auch Dieter Berg spricht von „sozialen Ursachen“: Industrielle Fangflotten haben, begünstigt durch die fehlende Polizeimacht des zerfallenden Staates, innerhalb der Sechs-Meilen-Zone gewildert. Den Küstenbewohnern ist die Existenzgrundlage weggebrochen, „sodass viele sich anderweitig versuchen, Einkommen zu verschaffen“, sagt Berg. Eine Analyse, in der er sich mit Paech trifft. Nur sagt der, dass es „eine militärische Lösung nicht geben“ könne. „Man muss diesen Staat, der nicht einmal Entwicklungshilfeempfänger ist, stabilisieren – das geht nicht von außen militärisch, sondern nur durch dringende ökonomische Maßnahmen“. Berg hingegen benennt „die Ahndung von Piraterie über Staatsgrenzen hinweg“ als Forderung. Durchs Militär.

Eine Art weltpolizeilicher Einsatz der Bundesmarine – „das entspricht natürlich ihrem Legitimierungsinteresse“, so Konfliktforscher Becker. Aber „im Grundgesetz steht: Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf, Punkt – und aus.“ Noch gibt es deshalb auch jenseits der Linskfraktion erhebliche politische Bedenken, mindestens so lange die EU noch kein Mandat erteilt hat. Ein toter Seemann am Horn von Afrika – das wäre schon eine andere Gesprächsgrundlage.