Die vergiftete Bio-Wende

Noch immer lagern 1.000 Tonnen Nitrofen-verseuchtes Getreide in drei Mecklenburger Hallen. Zwar wurden Gesetze geändert, Strukturen aber nicht

von NICK REIMER

Und dann auch noch Hochwasser. Über 100 Biohöfe versanken im Sommer in den Fluten – ein Viertel aller Öko-Wirtschaften im deutschen Südosten. „Nein, 2002 war kein gutes Jahr für den Ökolandbau“, sagt Kornelie Blumenschein, Chefin des Anbauverbandes Gäa. Allerdings liegt das nicht hauptsächlich an zu viel Regen. Blumenschein: „Schuld daran war vor allem eines: Nitrofen.“

„Sündenfall der Ökobranche“, „Verlust der Unschuld“, „Branchendesaster“ – Mitglieder des Anbauverbandes Naturland hatten vor Jahresfrist Nitrofen-belastete Produkte in Umlauf gebracht – mit Wissen des Anbauverbandes, aber ohne Meldung an die Behörden. Nachdem die taz Ende Mai aufgedeckt hatte, dass Nitrofen sogar den Babynahrungsproduzenten Hipp erreichte – dort allerdings nie verarbeitet worden war –, brach eine giftige Debatte über die Republik herein. Der sich gerade anbahnende Bioboom fand ein jähes Ende: Groß- und Einzelhändler, die sich nach viel Überzeugungsarbeit Öko-Lebensmittel in die Regale gestellt hatten, strichen das Sortiment wieder zusammen.

Von diesen „Panikauslistungen“ hat sich die Branche der ökologisch erzeugten Lebensmittel bis heute nicht erholt. In seinem Trendbericht 2002 spricht der Bundesverband Naturkost Naturwaren Herstellung und Handel (BNN) von „verlorener Dynamik“ und „schwarzen Nullen“. Der Fachhandelsverband kann bei einem Umsatz von drei Milliarden Euro zwar noch 0,5 Prozent Wachstum ausweisen – im Jahr davor waren es aber noch 32,1 Prozent.

Bei dem Absatz von Biowaren im konventionellen Einzelhandel muss man dagegen das Wort Einbruch benutzen. Nach Auswertung des Deutschen Bauernverbandes brach hier das Ergebnis für Ökoprodukte um 15,2 Prozent ein. Zahlen, die für den Bauernpräsidenten Gerd Sonnleitner Munition sind: „Die Verbraucher brauchen die Agrarwende offenbar nicht. Wir werden von den Discountern eines Besseren belehrt.“

Nitrofen – korrekter: der Vertauensverlust durch den Pestizidskandal – ist also nach wie vor präsent. Zumal sieben Monate später die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg immer noch ermittelt. Wer, bitteschön, ist denn nun schuldig im Sinne der Anklage? „Zu den laufenden Ermittlung geben wir keine Auskunft“, erklärte Oberstaatsanwalt Rainer Moser im November. Im Dezember bat er um Geduld: „Wir werden die Ergebnisse bald präsentieren können.“

Derweil lagern an drei verschiedenen Stellen weiterhin über 1.000 Tonnen Nitrofen-verseuchtes Getreide. In einer Halle in Malchin-Strauchwerden sind es 338 Tonnen, in der Malchiner Diver-Halle an der Stavenhagener Straße – dort, wo alles seinen Anfang nahm – 640 Tonnen, in einer Neubrandenburger Halle 30 Tonnen. Aus einem der taz vorliegenden Papier des Mecklenburger Umweltministeriums geht hervor, dass dieses Getreide „einer Entsorgung (Verbrennung) in Dänemark zugeführt werden soll“. Weitere 512 Tonnen Getreide „sowie 37 Tonnen Fremdware befinden sich in der Beprobung“, so das Schreiben. Im Falle einer Kontaminierung soll auch dies in Dänemark verbrannt werden.

Mecklenburgs Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) bestätigte die Mengen gegenüber der taz. „Sie müssen nach Abfallrecht behandelt werden, derzeit läuft dazu das notwendige Genehmigungsverfahren“, so Backhaus. Er hoffe, dass „dieses Getreide in Kürze hoffentlich entsorgt“ wird. Nach wie vor seien die Hallen von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Nach Ermittlungsabschluss soll mit dem Insolvenzverwalter verabredet werden, wie die Halle abgerissen werden kann.

Zumindest umgebaut wurden von der Politik eine ganze Reihe von Gesetzen. So wird Getreide, das noch nicht zweckbestimmt ist – also nicht entweder als Futter- oder als Lebensmittel ausgewiesen – ab sofort unter Lebensmittelrecht behandelt. Lebensmittelhersteller sind jetzt gesetzlich verpflichtet, Behörden über Grenzwertverletzungen – egal ob in Rohstoff, Zwischen- oder Endprodukt – zu informieren. „In der Vergangenheit gab es stille Rückrufaktionen. Das ist jetzt ausgeschlossen“, urteilt Iris Uellendahl, Sprecherin des Agrarministeriums von Mecklenburg-Vorpommern. Und: Die zulässigen Grenzwerte für Nitrofen wurden halbiert – auf 0,005 Milligramm je Kilo.

Die Biobauern sehen das mit gemischten Gefühlen. „Solange die konventionelle Landwirtschaft weiter Schadstoffe in die Umwelt einträgt, so lange werden wir mit Schadstoffen auch in unseren Produkten leben müssen“, sagt Gäa-Sprecherin Swantje Kohlmeyer. Es gebe keine schadstofffreien Lebensmittel, sondern nur fast schadstofffreie – Bioprodukte eben. „Halbierte Grenzwerte machen feinere Messverfahren nötig. Und feinere Messverfahren finden natürlich häufiger Schadstoffe“, so Kohlmeyer.

Und so folgte Acrylamid auf Nitrofuran auf Nitrofen. „Die Verbraucherministerin muss deshalb genau jene Strukturen dokumentieren, die zum Nitrofenskandal geführt haben“, fordert Tilo Bode, Chef der Verbraucherorganisation Foodwatch. Bislang hat sie das versäumt. Ein schwerer Fehler, wie Bode urteilt: „Die Dokumentation würde klar machen, dass an solchen Schadstoffen nicht die Biobauern, sondern die konventionellen Landwirte und deren Organisationsstruktur Schuld sind.“

Nitrofen-Chronik unter: www.foodwatch.de