Knutschen im Ring

Es begann alles mit Vieh – und kranken Soldaten: Im Jahr 1877 bauten die Berliner Stadtplaner für ihre boomende Metropole eine Ringbahn um die Stadt. Die S-Bahn wurde nach und nach ausgebaut, elektrifiziert und erneuert, bis die deutsche Hauptstadt das anerkannt leistungsfähigste Nahverkehrssystem ganz Europas hatte. Im Vergleich zu anderen „Stadtbahnen“ (die korrekte Ausschreibung für S-Bahn) war es billiger, moderner und größer als alle anderen.

Selbst während des Zweiten Weltkriegs transportierte die S-Bahn trotz der Bombenschäden fast so viele Menschen wie heute die BVG, die in Berlin Busse, Trams und U-Bahnen betreibt: rund achthundert Millionen pro Jahr. Und berühmt war die Ringbahn als Teil der S-Bahn, da Pärchen auf ihr mit einem Fahrschein stundenlang im Kreis fahren konnten: „Knutschtour“ nannte man das.

Durch den Mauerbau, in der Nacht zum 13. August 1961, endete vorübergehend die große Zeit der S-Bahn: Die Ringbahn stand unter Ostberliner Aufsicht. Die S-Bahn wurde deshalb von vielen Westberlinern boykottiert, die Zahl der Passagiere ging im Westen auf nur noch fünf Millionen zurück.

Im Juni vorigen Jahres endlich wurde die Lücke, die der Mauerbau im Ring gerissen hatte, geschlossen: Die letzten drei von insgesamt 37 Kilometern wurden wieder für den Verkehr freigegeben. Ein S-Bahn-Sprecher rühmte den „letzten emotionalen Lückenschluss nach der Wiedervereinigung“. Allerdings kann man heute nicht mehr endlos im Kreis fahren: Spätestens nach anderthalb Umrundungen zweigen die S-Bahnen nach Norden oder Süden ab. GES