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In the air tonight

Es geht um Glamour, Viel-Geld-Ausgeben und eine gewisse Nähe zum Tod: Das Image des Superflugzeugs Concorde gleicht dem eines Rockstars

von HENNING KOBER

„Oh my god“, denkt man. Diese Nase. Diese krasse Nase. Diese Beine, bis zum Himmel. Kein Gramm Fett. Geiler Hard-Body. Langsam dreht sie sich. Unendlich langsam. Halb um die Achse. Sie steht still. Schaut. Sind alle Augen bei mir? Ihr Blick ein Versprechen, herausfordernd. Unendlich lang. Und dann, als man schon irgendwas sagen möchte, vielleicht auch ein Foto machen, rast sie los. Einfach weg. Mit einem wahnsinnigen Tempo vorbei an allem. Goldenen Nebel hinter sich.

Mit etwa 400 Kilometer pro Stunde schießt eine Concorde der British Airways über die Startbahn des Londoner Flughafens Heathrow. Ziel New York, John F. Kennedy Airport. An Bord: Calvin Klein? Victoria Beckham? Madonna? Man weiß es nicht, aber eins ist klar, wir haben es hier mit einem StarStar zu tun. Kein technischer Gegenstand verfügt über so viel Symbolkraft. Es sind die gleichen Mechanismen die einen Rockstar schaffen: äußerliche Extravaganz, glamouröse Freunde, ein Hang zum Geldverbrennen sowie eine gewisse Nähe zum Tod.

Die Concorde steht für den Glauben an eine bessere Welt des Fortschritts, in der man jederzeit unkompliziert an schöne Orte dieser Welt reisen kann. Und sie lockt mit einem schnelleren Leben. Die Überschallgeschwindigkeit, das Supersonic, der Concorde ermöglicht eine Ankunftszeit in New York, die durch die Zeitverschiebung vor der Abflugszeit in London liegt. So war die Concorde die erste funktionierende Zeitmaschine. Der Reiz des „Live hard, die young“, zu James Deans Zeiten noch materialisiert in einem Porsche 356 Spyder, rast jetzt mit 2.333 Kilometern pro Stunde am Rand des Weltraums. In 16.000 Meter Höhe, kilometerweit über der Flughöhe normaler Linienflugzeuge.

Wir haben es hier also mit einem überaus exquisiten Gegenstand zu tun. Gleiches erwartet man dann auch von einem Buch mit dem Titel „Concorde – der Überschall-Passagierjet“ (von Andreas Spaeth, GeraMond-Verlag, München 2003, 127 S., 22,90 €). Auf 126 Seiten geht es recht bieder um technische Zahlen, wechselnde Beschriftungen und Flughistorie. Schade. Man möchte doch viel lieber wissen, wie es dem Schah von Persien erging. Der erlebte während eines Testflugs 1977 abrupte Steig- und Sinkflüge, weil der Autopilot verrückt spielte. Oder welche Songs George Harrison in der Concorde-Lounge während einer Verspätung spielte, und warum Sicherheitskräfte Diana Ross in ebendieser Lounge verhafteten. Man möchte Bilder von Fidel Castro im Cockpit sehen, als der sich beim ersten Kubabesuch der Concorde 1997 an die Steuerknüppel setzte, oder beobachten, wie Queen Mum über ihrem Königreich anlässlich ihres 85. Geburtstags Gin Tonic trinkt.

Auch von der merkwürdigen Beziehung der Franzosen und Engländer zur Concorde erfährt man nur wenig. Ähnlich wie zu ihrem Königshaus haben die Engländer ein äußerst zwiespältiges emotionales Verhältnis zur Concorde. Zwar kritisieren sie den massiven Einsatz von Steuermitteln, mit denen die Concorde entwickelt wurde, andererseits musste vor zwei Jahren zu den Millenniumsfeiern unbedingt eine Concorde im Tiefflug über die Themse schießen. Zur Wiederaufnahme der Concordeflüge im Herbst 2001 charterte Premierminister Tony Blair eine Maschine, um zu einem Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten zu reisen.

In England und Frankreich ist die Concorde immer noch eines der ganz großen Symbol des Nationalstolzes, das die meisten Londoner allerdings nur als winzige blitzartig auftauchende Sehnsucht am Himmel erleben. Wolfgang Tillmans hat diesen Blick vor einiger Zeit schon in seinem Fotobuch „Concorde“ (Verlag Walter König, Köln 1997, 120 Seiten 19,43 €) festgehalten. Darin gibt es bis auf den Klappentext kein Wort, sondern über hundert Bilder, auf denen ein weißes Dreieck am Himmel auszumachen ist.

Entdeckt man über London die Concorde, tanzt ein Glücksgefühl im Bauch. Freude wie über eine Sternschnuppe. Dieses Dreieck am Himmel ist eine Versprechung. Wenn es hier zu schlimm wird, kann man immer noch weg. Auch wenn der Ticketpreis von 7.100 Euro für einen einfachen Flug kaum zu bezahlen ist. Die Möglichkeit ist geschaffen, theoretisch kann man einfach zum Flughafen fahren, seine Kreditkarte überziehen und wenige Stunden später in New York oder auf Barbados sein, das im Winter als Zieldestination für die britische High Society angeflogen wird. Vielleicht hätte man auch sehr viel Glück und dürfte auf dem Sitz mit der Nummer 1 A sitzen, Stammplatz von Margaret Thatcher und Madonna.

Vielleicht würde das Ganze aber auch tragisch enden. Seit der Katastrophe von Paris, als eine Concorde der Air France in ein Hotel stürzte, spielt das vormals als sicherste Flugzeug der Welt deklarierte Überschallflugzeug immer wieder russisches Roulett. Trotz technischer Modifikationen und strengster Sicherheitsvorschriften war es auch im letzten Jahr fast monatlich zu ernsten Zwischenfällen gekommen. Im März entdeckte der Pilot einer britischen Concorde gerade noch rechtzeitig ein gefährliches Computerproblem. Er brach den Start ab, und die Passagiere, überwiegend Hochzeitsgäste von Liza Minnelli, mussten in eine andere Maschine umsteigen.

Zusammen mit Michael Jackson, den Gallagher-Brüdern und Yves Saint Laurent bei einem Concorde-Absturz umzukommen: Eine glamourösere Vorstellung vom Sterben ist kaum denkbar. Natürlich könnte man auch Pech haben und in einer Maschine mit Phil Collins, Sting und Fergie sitzen.

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