Das Motto heißt: Zeitgewinn

Die USA sind mit ihrem Drängen auf schnelle Entscheidung im Sicherheitsrat isoliert – auch nach dem Fund von nicht gemeldeten Sprengköpfen im Irak

„Es kommt der Moment, da unsere Geduld am Ende ist“

von BERND PICKERT

Zehn Tage bevor UN-Chefinspekteur Hans Blix dem Weltsicherheitsrat seinen resümierenden Bericht übergeben muss, stehen die USA im Sicherheitsrat ziemlich allein da. Die Waffeninspektoren drängen, für ihre Arbeit im Irak mehr Zeit zur Verfügung zu bekommen. Blix beklagt immer offener den großen Druck, den die Kriegsvorbereitungen der USA auf seine Mission ausüben. Er hat dem Rat bereits am Dienstag vorgeschlagen, zunächst zwei Monate nach dem Ablauf der ersten Berichtsfrist am 27. Januar einen weiteren Bericht abzuliefern – zumal sich das Datum 27. März auch aus der alten UN-Resolution von 1999 ergebe, mit der Blix’ Mission eingerichtet wurde. Die ist allerdings nach Meinung der US-Regierung durch die neue Resolution 1441 vom 8. November vergangenen Jahres überholt.

Blix hat vorgeschlagen, dem Irak eine konkrete Liste von Abrüstungsverpflichtungen vorzulegen, nach deren Erfüllung, so sie vom Sicherheitsrat festgestellt ist, auch die Sanktionen gegen den Irak aufgehoben werden könnten. Doch von einer weiteren Frist bis 27. März wollen die USA nichts wissen. „Wir stellen schon die Frage, ob der 27. März der richtige Zeitpunkt ist, um ausstehende Abrüstungsverpflichtungen zu benennen und über ein kontininuierliches Überprüfungs- und Überwachungsregime zu reden, denn wir glauben, dass dadurch der Eindruck entstünde, dass der Großteil der Abrüstungsverpflichtungen bereits erfüllt sei“, sagte John Negroponte, der Botschafter der USA bei der UNO. Doch das Motto im Sicherheitsrat lautet „Zeitgewinn“. Nicht nur die deutsche Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, auch bei allen anderen Mitgliedern des Sicherheitsrats überwiegt der Wille, die Inspektoren zunächst weiterarbeiten zu lassen. Selbst die britische Regierung, der stärkste Verbündete der USA in der Irakfrage, gab sich zurückhaltend: „Es gibt keinen Grund für ein überhastetes Urteil. Die Inspektoren brauchen Zeit …, um zu einer allgemeinen Bewertung zu kommen, wie die Inspektionen vorangehen“, sagte ein Sprecher des britischen Außenministeriums.

US-Präsident George W. Bush hingegen setzte erneut zu scharfer Rhetorik gegen Saddam Hussein an: „Bis jetzt gibt es wenige Hinweise darauf, dass er abrüstet. Es kommt der Moment, da die Geduld der Vereinigten Staaten am Ende ist. Im Namen des Friedens: Wenn er nicht abrüstet, werde ich eine Koalition der „Willigen anführen, um Saddam Hussein zu entwaffnen“, sagte Bush am Donnerstag.

Auch darüber, wie neue Waffenfunde im Irak zu bewerten seien, herrscht keine Einigkeit. Am Donnerstag hatten die Waffeninspektoren zwölf leere Artilleriesprengköpfe vom Kaliber 122 mm entdeckt, deren Bestückung mit chemischen Kampfmitteln durchaus möglich ist. Der irakische Verbindungsoffizier, General Hussam Muhammed Amin, sagte, sowohl 1996 als auch in der jüngsten Erklärung über den irakischen Waffenbesitz habe der Irak aufgeführt, über Geschosse dieses Typs zu verfügen. Diese eine Kiste habe der Irak jedoch völlig übersehen, da sie gemeinsam mit anderen, konventionellen Sprengköpfen gelagert worden sei, die der Irak besitzen darf. Vor den Inspektoren habe aber niemand diese Kiste geöffnet, die im Übrigen zu einem 1986 importierten Kontingent gehöre, das inzwischen ohnehin zu alt sei, um noch verwendet zu werden. UN-Mitarbeiter sprachen allerdings davon, die Sprengköpfe seien in „ausgezeichnetem Zustand“. Sie waren, in Holzkisten verpackt, im Ukhaider Munitionsbunker, rund 150 Kilometer südwestlich von Bagdad gefunden worden, einer in den späten 90er-Jahren errichteten großen Bunkeranlage. Der Verbleib tausender solcher Geschosse, die der Irak nach eigenen Angaben zerstört hat, gilt für die Inspektoren als ungeklärt.

„Es gibt keinen Grund für ein überhastetes Urteil“

Die Inspektoren waren sich in ersten Kommentaren recht einig darüber, dass Irak diese Sprengköpfe eigentlich nicht haben dürfte, enthielten sich aber einer weitergehenden Bewertung. Jetzt sollen die Waffen auf etwaige chemische Rückstände untersucht werden.

Raymond Zilinskas, ein früherer UN-Inspektor, sagte der Nachrichtenagentur AP, es gebe drei Möglichkeiten: Entweder die Sprengköpfe waren tatsächlich nie mit Chemikalien gefüllt, oder sie waren damit gefüllt, wurden aber schon vor Abreise der Inspektoren 1998 geleert, oder sie wurden erst vor kurzem geleert. Letzteres wäre „ein sehr ernstes Thema, denn die Iraker haben erklärt, dass sie von dem Zeug nichts haben“, sagte Zilinskas.

Bleibt es bei einer der beiden anderen Varianten, so dürfte zwar die Forderung von Chefinspekteur Hans Blix an den Irak, aktiver zu kooperieren, an Aktualität gewinnen. Gleichzeitig aber hätte sich die Effektivität der Inspektoren herausgestellt, die immerhin in der Lage waren, die Sprengköpfe zu finden. Für die Mehrheit des Sicherheitsrats ergäbe sich damit vermutlich kein Grund, einem Angriff auf den Irak zuzustimmen.