„Liebe ...

... unter den Bedingungen der Metaphysik“: Nina Hagens Zwischenlandung im Schlachthof

taz ■ Ganz unverhofft kam Bremen in den Genuss eines Auftritts von Nina Hagen. Zumindest gab es bei Erscheinen des letzten Albums „Om Namah Shivay“ keine Tournee als Werbemittel – wäre auch aufwändig gewesen, Nina Hagen hätte dazu die „Om Heriakhandi Band“ aus Indien einfliegen lassen müssen.

In Bremen dagegen: Hagen und ihre Rockband, beide angenehm unroutiniert. Die Hagen konnte nicht mal alle Texte auswendig, was aber nicht unbedingt ein Problem sein musste: Die Individualismus-Hymne „My Way“ beispielsweise legt nahe, sie auch mit einem gerüttelt Maß individueller Freiheit anzugehen.

Aber auch andere Fremdkompositionen mussten einiges über sich ergehen lassen, vor allem durch die stimm- und grimassiergewaltige Hagen selbst. „Zero Zero Ufo“ von den Ramones wurde indes vom Schlagzeuger sabotiert, der sich offenbar in das Tempo eines mittelschnellen Punkrock-Songs nur unter Androhung von Sanktionen hineinsteigern konnte.

Ansonsten war die Lohnarbeiterband nur Staffage für das exaltierte Fabeltier Nina Hagen, das zwar in Interviews immer wieder mit Punk kokettiert, aber in Wirklichkeit – und das erzählt Nina Hagen auch nach jedem dritten Song – in einer Parallelwelt voller Ramas, Lamas und Krishnas ewigen Aufenthaltsstatus genießt.

Zwar hat Nina Hagen stimmlich in den Höhen ein paar Spitzen eingebüßt, dafür aber in den unteren Lagen zugelegt. Zusammen mit ihrem komödiantischen Talent eine unwiderstehliche Kombination, der es zu verdanken ist, dass ihre Botschaft, die im wesentlichen „Liebe unter den Bedingungen der Metaphysik“ heißt, auch einem säkularisierten Publikum nicht allzu sauer aufstößt.

Fundamentalisten dürften mit der Hagen-Vision, in der „My Sweet Lord“ von George Harrison, Hare Krishna, Mutter Erde und die Gottheit des Rock’n’Roll alias Ramalamadingdong nebeneinander umhergeistern, sowieso ihre Probleme haben. Nina Hagen lässt sich da nicht von sauertöpfischen Verzichtsmoralisten dreinreden, und sie ist viel zu gut drauf, als dass sie merken würde, wohin das alles führen kann. Das wollte auch am Samstag im ausverkauften Schlachthof niemand so genau wissen.

Ein Fan hatte gar ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk mitgebracht: Ein Stoffentchen, das von der Diva unter zahlreichen Grimassen entzückt entgegengenommen wurde. Danach sang sie Nirvanas „All Apologies“ – insgesamt eine Reihe Songs also von großen toten Rockstars (Joey Ramone, Kurt Cobain, Harrison u.a.). Aber schließlich sind wir ja alle unsterblich.

Die einzigen Stücke, bei denen sie keine Mine verzog, waren hinduistische Gebetsgesänge. Das könnte uns zu denken geben, muss es aber nicht. Lieber dahinschmelzen bei „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“, das Hagen furios vortrug, Endsilben auf hocheigene Weise dehnend und verbiegend.

Hinter der Bühne saß derweil schampusschlürfend Mutter Eva-Maria und freute sich über ihre Tochter. Und war eins mit dem Publikum, das noch jubelte, als Nina schon in dem Ufo saß, das vor der Tür mit laufender Turbine wartete.

Andreas Schnell