Chromblitzend designte Verse

Bei der Uraufführung von „Lemon und Libelle“ überlagerte die Musik des Hamburger String Thing-Quartetts die Lyrik von Starautor Albert Ostermaier – zum Glück

Eine fesselnde, fiebrige, fließende Musik voller Witz und musikalischer Kalauer

taz ■ „Früher begann der Tag mit einer Schußwunde“, und zwar vor etwas mehr als 30 Jahren, als Wolfgang Wondratschek mit großer Pose die Lyrik-Bühne betrat. Heute sind statt Schüssen eher poetische Sahnebonbons gefragt: „Lemon und Libelle“ nennt der angesagte Münchner Theaterautor Albert Ostermaier einen Gedichtzyklus, den er für Sprecher und Streichquartett geschrieben hat.

Komponiert und aufgeführt vom Quartett String Thing aus Hamburg, gesprochen von der Schauspielerin Edith Adam (zurzeit am Hamburger Schauspielhaus), in Szene gesetzt von Helmut Danninger, dem Manager des Modern String Quartett, das ursprünglich für diese Arbeit vorgesehen war.

Uraufgeführt wurde das etwa einstündige Werk vergangenen Freitag in Bremerhavens Theater im Fischereihafen (TiF). Warum nicht in Hamburg oder München? Die Frage mag müßig sein, die Veranstalter erklären sie mit den guten Beziehungen zwischen den Organisatoren. Allerdings war’s das dann auch gewesen mit „Lemon und Libelle“ in Bremerhaven: Folgeaufführungen sind zunächst nicht geplant, nachgedacht wird derzeit lediglich über eine bundesweite Tour des Projekts.

Um es vorweg zu sagen: Die vier String Thing-Musiker-Komponisten haben eine wunderbare Musik geschrieben, und die Art ihres Vortrags ist geradezu berauschend schön. Sie spielen sich – parodierend und zitierend – durch die Musikgeschichte, sie kombinieren in überraschenden Wendungen Formeln von Barock und Hochklassik mit Anklängen des Modern Jazz, mit Pop und Schlager.

Dies ist mehr als ein postmodernes Potpourrie, denn immer bewahren die Musiker ihren eigenen Stil. Der ist leicht elegisch und melancholisch, verspielt und verkühlt, er folgt darin den Bildern der Texte. Aber die Musik bildet die Texte nicht nur ab. Im Gegenteil. Die Musiker von String Thing greifen atmosphärische Momente auf, um daraus ihr ganz eigenes Ding zu machen. Die Musik zu dem 12-teiligen Zyklus setzt sich gegen die Sprache durch.

Edith Adam – permanent in Bewegung – spricht Ostermaiers Worte trotz Microport so leise, dass sie sich im musikalischen Geflecht meistens verlieren, jedenfalls bis auf Schlüsselworte kaum verstehbar sind. Beim Nachlesen der Texte muss man den Ausführenden zu dieser Entscheidung gratulieren. Denn Ostermaier dichtet wie ein spätpubertärer, selbstverliebter Jüngling, der sich gern an Benn & Co. messen möchte.

In „Lemon und Libelle“ gibt es Momentaufnahmen im Autokino, es geht überhaupt viel um Autos bei Nacht, in denen Männer und Frauen sitzen. Es geht um tropfende Herzen aus Wachs, um „ihre vom Regen noch feuchten Lippen“, um Kühle, Einsamkeit und Vergeblichkeit. Es geht mehr um chromblitzendes Design, als um Lyrik.

Immer wieder taucht Helmut Danninger die poppig-bunt gekleideten Musiker in blauen Bühnennebel und lässt sie von Gedicht zu Gedicht ihre Aufstellung ändern: Das Quartett spielt im Sitzen, Stehen, Gehen oder auch im Liegen. Und trotz dieser zum Teil angestrengt wirkenden Inszenierung befreit sich das Quartett souverän von den Fesseln der Worte, indem es sie einfach vergessen macht.

Die Worte werden zum Geräusch, das sich im musikalischen Zauberteppich auflöst. Nicola Kruse (Violine), Mike Rudledge (Viola), Susanne Paul (Cello) und Jens Piezunka (Bass), letzterer erst seit einem Jahr dabei, sind Patchworker, sie stricken mit ihrem äußerst geschmeidigen, weichen Ton an schnellsten und diffizilen Stimmungswechseln und bleiben doch ihrem musikalischen Grundgedanken treu.

Eine fesselnde, fiebrige, immer fließende, auch leise Musik, voller Witz und musikalischer Kalauer. Mit einem Wort: String Thing ist ein großartiges Ensemble, und wie sie das lyrische Posenspiel Albert Ostermaiers ignorieren und die gefälligen, keineswegs schussverdächtigen Worte in ihre Musik hineinsaugen, das ist meisterhaft.

Hans Happel