Man trägt weiter Gasmasken

Die Modeveranstaltung Bread and Butter demonstrierte im Siemens-Kabelwerk, dass sich die Urban Wear zu einem professionellen Marktsegement entwickelt hat

Zwanzigtausend Quadratmeter fasst das Siemens-Kabelwerk in Tegel. Housetunes flattern durch die lang gestreckte Halle, aufgelegt von DJs wie dem Kölner Hans Nieswandt. Sonstwo mag jeder Stand einer Tradeshow seine eigene Minianlage haben. Doch hier, auf der ersten Bread and Butter Berlin, gehört „Inszenierung“ zu den Schlüsselwörtern der Außendarstellung. Deshalb haben die Veranstalter auch das schöne Wort vom „zentralen Musikmanagement“ gewählt: ein Kabelwerk, ein Groove.

Die Professionalität der aus Köln abgewanderten Modeveranstaltung zeigt sich überhaupt in jeder Ecke. Mit hohem Aufwand hat man die Halle reinigen lassen, damit nicht ständig 70 Jahre alter Industriedreck von den Stahlträgern fällt. Ein Shuttlebus bringt die Fachgäste über prominente Strecken – 100er-Linie, Love Parade Route – von der Offshow im Staatsratsgebäude hierher. Für die Presse liegen sorgfältig erstellte Infodossiers bereit. Dazu gibt es Beck’s Gold.

„Wir sind das einzige Marktsegment der Modebranche, das noch Zuwachs verzeichnet“, sagt Veranstalter Karl-Heinz Müller. Mit „wir“ meint er die Jeans- und Sneakers-Industrie, auch „Urban Wear“ genannt. Aus funktionalen Selbstermächtigungen wie „Mit Turnschuhen kann ich besser skaten“, „Mit dem Trainingsanzug kann ich schöner breakdancen“ oder „Mit dem Kapuzenpulli krieg ich nach der Acieeed-Party keine Erkältung“ hat diese Branche bereits profitable Marktstrategien entwickeln können.

Seit Run DMC in den Achtzigern „My Adidas“ priesen, gehört die Wahl des Sneakers zur Selbstinszenierung aller an Coolness Interessierten. Mittlerweile konkurrieren Marken wie Reebok, Carhartt und G-Star hart um die Ausstattung von Viva-Moderatorinnen oder Missy Elliotts neuen Clip. Die Popstars selbst machen sich den Boom ebenfalls zunutze. Snoop Dogg etwa ist auf der Bread and Butter mit seinem eigenen Modelabel vertreten. Seine Trainingsanzüge fließen, gar nicht street, im Nicky-Textil. Wer weltweit Millionen Platten verkauft, besitzt eben Definitionsmacht. Waren Adidas und Nike bisher die Popstars der Modebranche, gibt es damit jetzt auch den Popstar zum Anziehen.

„Fun and Profit“ habe Mitveranstalter Kristyan Geyr mal als Motto ausgegeben, und das sei bis heute die Überschrift der Bread and Butter, erklärt Karl-Heinz Müller. Dieser Mix, den Besucher weiterer jugendlicher Branchenmessen wie der Popkomm schon kennen, schwebt dann auch tatsächlich durch das Kabelwerk. Freaks mit langen Bärten, Piercings und Hüftsitzjeans machen auf crazy.

Die Sportlichen im Baseball-Shirt lassen beim Reden ihre Arme weit durch die Halle rudern, um HipHop-Kompetenz zu beweisen. Davon unbeeindruckt zeigt sich der Typus des Geschäftsleut. Er existiert als Mann wie als Frau. Der seriöse Geschäftsreisende mag seinen Anzug schwarz, schlicht und toppt ihn mit einer dezenten Brille. Die seriöse Geschäftsfrau mag ihr Kostüm schwarz und schlicht und trägt Lederköfferchen. Und auch die soeben in der Süddeutschen Zeitung endlich mal zu Ehren gekommene Fußballspieler-Ehefrau mit ihren Stretchjeans und Wildledertops irrt in der Mannversion durch die langen Gänge: Gel im Haar, Hemd spannt sich über ein Bäuchlein. Sein „Das ist ja interessant!“-Blick wirkt irgendwie unangemessen.

Der Winner-Stil der Veranstaltung – „Messen dürfen nicht selektieren, deshalb bezeichnen wir uns nicht als Messe“ – erweitert schließlich das aus schwarzen US-amerikanischen Jugendkulturen erwachsene Standard-Repertoire der Urban Wear um eine globale Komponente. Das Militär zeigte sich an allen Ecken und Enden. Labels wie [aem’kei] wollen Parkas, Gasmasken und Karatehosen im nächsten Winter noch offensiver vermarkten, als das in den letzten Jahren sowieso schon der Fall war.

Auf der so genannten „Off-Show für Street Couture“ wenigstens wurde ein Gegenentwurf zum Label-, Branding- und Kommunikationsbusiness gezeigt. In der als Riesenlounge organisierten Präsentationsplattform für nichtetablierte Namen wie Eva Gronbach und Betty Bund stellten die Jajaisten das Wohnzimmer ihrer Offenbacher WG aus. Alles weiß angestrichen und mit dem blauroten ja! des gleichnamigen Billigherstellers versehen. „Uns ist das alles zu viel“, sagte einer der vier WG-Bewohner und holte per Geste die gesamte Bread and Butter ins Gespräch. „Seit letzten Sommer besteht unsere Lebensaufgabe nur noch darin, die Welt als ‚ja!‘ zu gestalten.“ CHRISTOPH BRAUN