Die Suche nach den „Exoten“

Exotische Früchte sind Gesprächsthema auf der Fachmesse Fruit Logistica, die zeitgleich zur Grünen Woche stattfindet. Da das Fremde sich am Bekannten orientiert, sind Überraschungen inbegriffen

„Rambutan“ sei die Exotischste, sagt der freundliche Thailänder. So schön, mit ihren wilden Stacheln. Nicht „Mangosteen“ nicht „Longan“, auch nicht die Drachenfrucht oder der Java-Apfel könnten ihr den Rang ablaufen. Es ist seine persönliche Wahl, die er da in Halle 6.1. auf dem Messegelände kundtut. „Rambutan is like sweet skin“, süße Haut. Welche Verführung. Der Widerstand der Frucht gegen das Verschlungenwerden ist nur symbolischer Art, denn die wilden Stacheln, die den süßen Kern schützen, sind stumpf.

Während die Grüne Woche zu Albtraum, Wahnsinn, höllischem Gedränge verkommt, wird die Fachmesse „Fruit Logistica“ die zeitgleich dort stattfindet, immer mehr zum Paradies. Hier ist Genuss und Überfluss.

„Probieren Sie sie, bitte probieren Sie sie“, sagt die asiatische Frau und streckt ihre Hände einladend der dargebotenen Pomelo entgegen. Präsentiert auf silbernem Tablett ist die ballongroße Frucht. Zartgrün ihr Fleisch, das perlig und glänzend aus der Schale herausgelöst wurde. Die kleinen Fasern sind saftig. Es tropft die Gabel herunter, auf die sie aufgespießt werden. „Nussig im Geschmack“, sagt eine Brasilianerin. „Blumig und herb“, sagt ihr Begleiter. „Bitter und süß“, meint eine Dritte. Alle nicken. Dann erinnert sich die Frau an ihre Herkunft. „Bei uns in Brasilien wird nicht das Fruchtfleisch gegessen, sondern das Fleisch der Schale.“ Immerhin ist es fast drei Zentimeter dick. Mit Zucker werde es zu Kompott gekocht. „Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.“ Entschlossen geht es zum brasilianischen Stand.

Dort aber gibt es überraschenderweise vor allem Melonen. Grün, orange, gelb sind sie. Von innen und von außen. Gewachsene Bälle, deren Duftnote als „kondensierte Sonne“ gepriesen wird. Obst will Farbe, will Form, will Aroma. Alles ist im Überfluss vorhanden. Die Brasilianerin erwärmt sich – trotz anfänglicher Enttäuschung – fürs Vorhandene. Melonen eben. Als „süße Gurke, vanillige Birne, zimtener Pfirsich“ zergehen sie ihr auf der Zunge. Als sie bei der Papaya, jener mit dem tiefsten Orange in der Farbe des Fleisches, ankommt, ist sie erschöpft von so viel artikulierter Sinnlichkeit.

Gustavo, Vermarkter von eben jener Frucht, zeigt ein Bild des Papayabaums. Wie prall gefüllte Euter wachsen die Früchte am Stamm. Die unterste werde zuerst reif. „Golden“ heißt die Sorte. „Royal“ die Marke. Die Königin unter den Früchten. Mit viel Aufwand nach Europa gebracht. „Der Euro ist so stark“, sagt Gustavo und appelliert an die Deutschen: „Esst mehr exotisches Obst. Aus Brasilien. Lula braucht das.“ Lula, der neue Präsident, die Hoffnung der Brasilianer.

Markus Dähler, die Schweizer Nummer eins beim Import mit unbekanntem Obst und Gemüse, mischt sich in das Gespräch. „Die ausgefallenste Frucht suchst du? Kolumbien ist dein Land“, sagt er und lässt niemanden im Unklaren, worum es wirklich geht: „Exotische Früchte sind wie erotische Frauen“, lacht er. Der Zigarrenraucher hat einen weißen Poncho geschenkt bekommen, den er als Schal um die Schulter trägt. Dandy und Bauernsohn in einem.

Am kolumbianischen Stand probiert er „Feijoa“. Grün mit weißem Fleisch. „Ich hab es auch hier zum ersten Mal gegessen. Es schmeckt wie natürliches Haribo.“ Oder „Curuba“, gelb mit roten, weichen Perlen darin, die im Geschmack an einen süßen Apfel erinnern. „Eine alte Sorte aus der Kindheit“, meint Dähler.

Der Züricher war mit 20 Jahren nach Brasilien ausgewandert. „Ich war Landwirt. Verstehen Sie, Bauer. Ich wollte dort meine Zukunft finden.“ Hat nicht geklappt. Zehn Jahre später kam er zurück und wurde Importeur. Er erzählt es, während „Tamarilla“ aufgeschnitten wird. Die dunklen Kerne im roten Fruchtfleisch sind in einer geometrischen Form angeordnet. „Als präkolumbianisches Muster ist es auf Schmuck zu finden“, erklärt Mario, der Kolumbianer, stolz. Der Geschmack? Die Europäer einigen sich auf bananig-knoblauchig mit einem Schuss Zitrone.

„Granadilla“ wiederum hat einen Touch von Eukalyptus. „Anon“, die Köstlichste, erinnert an ein Mus aus Banane und Birne. Aus ihren schwarzen Körnern machen sich die kolumbianischen Mädchen Halsketten. „Vorhin kam ein Kollege mit so einem Ast vorbei. Den kann man angeblich essen“, erzählt ein Besucher, der am Stand stehen bleibt. „Tamarinde“ war es, wie sich herausstellt.

Mario, der Kolumbianer, kann die Gespräche der Europäer über den Geschmack des Fremden nicht länger gut heißen. Seine Mimik zeigt es. „Obst ist etwas sehr Lebendiges“, doziert er. Die Formen, die Farben, glänzend, eindringlich, leuchtend. Viele Leute benutzten die Früchte vor allem als Dekoration. Der Geschmacksnerv aber müsse beim Exotischen überrascht werden. Es muss wie ein Schock für die Wahrnehmung sein. Das Süße, das Bittere, die Säure in Verbindung mit der oft ungewöhnlichen Konsistenz des Fruchtfleisches soll den Europäer auf eine experimentelle Reise in die andere Welt führen. Sie hat etwas zu geben. „Caramba“ – soll heißen: „Wow!“

Die „Fruit Logistica“ ist ein logistisch angegangener Garten Eden. Einer, der der Frage nach geht: Wie bringe ich das Fremde an den Mann. Und an die Frau. Deshalb werden Genüsse und Sinnlichkeiten geboten. Auch Begegnungen und Geschichten. Eine noch. Die vom alten Boyer, einem französischen Melonenanbauer. „Er ist verrückt nach Melonen, aber nur nach der Sorte Charantais“, erzählt die Gauloise rauchende Vertreterin auf der Messe. Für diese Melone tue der Mann mit klassisch südfranzösischem Appeal – rote Backen, Rotweintrinker, Genussmensch – alles. „Charantais hat ein Aroma, das ganze Wohnungen mit einem Duft nach Hitze, nach Reife, nach Begehrlichkeit ausfüllt“, meint die Marketingsfrau.

In den 80er-Jahren reichte es Boyer, dem Melonenfanatiker, nicht mehr, seine Früchte nur im Sommer anbieten zu können. Kurzerhand packte er Hab und Gut und siedelte sich in Guadeloupe an, um dort ein Winterstandbein aufzubauen. Es ist ihm gelungen. Heute arbeiten bis zu 500 Leute in seinem Betrieb.

Abendländisch gesehen, ist die außergewöhnlichste Frucht am Ende natürlich dann doch wieder der Apfel. „Cameo“ heißt er. Voll, saftig und fest ist er. Die Verführung liegt im Duft, in der Zärtlichkeit, mit der die Süße den Gaumen verwöhnt, im Widerstand, den er bietet. Er will gebissen werden, nicht gelutscht. Rot gestreift auf gelbgrünem Unterton ist „Cameo“, der Apfel, der sich selbst erschaffen hat. Ein Zufallssämling wird gesagt. Entdeckt in den USA. Wo sonst? Könnte er es gewesen sein, dessentwegen die Menschen aus dem Paradies verstoßen wurden?