ein nashorn im wasser von RALF SOTSCHECK
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Nashörner sind merkwürdige Tiere. Sie kommen und gehen. Jedenfalls in Irland. Vor einigen Monaten tauchte eine lebensgroße Bronzeplastik eines Rhinozeros in dem kleinen Dubliner Fluss Dodder auf. Niemand weiß, wer das Kunstwerk geschaffen hat – und vor allem, wie er das schwere Tier unbemerkt im Fluss platziert hat. Die verblüffte Nation rief sogleich einen Wettbewerb aus, um das namenlosen Nashorn zu taufen. Es gewann „Rhino O‘Neal“, zu Ehren des Schauspielers, der so ähnlich heißt, aber anders aussieht. – Schwamm drüber.

Seitdem ist viel Wasser den Dodder heruntergeflossen – zu viel für Rhino O‘Neal. Beim großen Regen Ende vorigen Jahres verschwand das bronzene Nashorn eines Nachts genauso plötzlich, wie es aufgetaucht war. Die Nation hofft bangen Herzens, dass es im Schlamm unter den Wassermassen überlebt hat und im Frühling wieder zum Vorschein kommt.

Das Rhinozeros war freilich nicht das einzige Objekt, das Schaden erlitt. Ganze Straßenzüge in Dublin und anderen Städten der Insel versanken in den Fluten. Howth Head, eine Erhebung im Norden der Hauptstadt, die von den Iren als Berg bezeichnet wird, brach einfach ab. Die Zufahrtsstraße zu den Häusern der Reichen und Schönen wurde unter zwei Meter Geröll verschüttet.

Heinrich Böll hatte 1957 in seinem „Irischen Tagebuch“ geschrieben: „Der Regen ist hier absolut, großartig und erschreckend. Man kann diesen Regen schlechtes Wetter nennen, aber er ist es nicht. Er ist einfach Wetter, und Wetter ist Unwetter.“ Die irische Regierung hat Bölls Tagebuch nicht gelesen. So wurde sie von dem Unwetter überrascht, wie übrigens die meisten Iren keinesfalls mit Regen auf ihrer Insel rechnen. Wenn es anfängt zu gießen, legen sie sich eine Zeitung oder ein zusammengeknotetes Taschentuch auf den Kopf und laufen seelenruhig weiter. „It‘s a soft day“, behaupten sie dann.

Zum Glück schritt die Regierung bei der Flutkatastrophe beherzt ein. Premierminister Bertie Ahern begab sich umgehend in die am schlimmsten betroffene Straße, was nicht sonderlich schwierig war, liegt sie doch keine hundert Meter von seinem Büro entfernt. Dort ließ er sich, knietief in den Fluten, mit besorgter Miene über das einzigartige Naturschauspiel fotografieren – wie bereits in den Jahren zuvor.

Dann ergriff er Maßnahmen: Zwar schickte er weder Polizei noch Armee bei diesem Sauwetter vor die Tür, um den Flutopfern zu helfen, aber er gab für den Rest des Tages die Busspuren für den Autoverkehr frei. Die waren allerdings höchstens noch von Amphibienfahrzeugen benutzbar. Aherns Finanzminister hatte kurz zuvor den Nothilfefonds für Flutopfer abgeschafft, weil die Regierung beschlossen hatte, dass es künftig keine Fluten mehr gebe, wie Kevin Myers, Kolumnist der Irish Times, anmerkte.

Er schrieb, dass die Niederländer die ganze Welt ernähren könnten, würden sie in Irland leben. Lebten die Iren in den Niederlanden, würden sie dagegen ertrinken. Offenbar müssen sie dafür aber gar nicht erst ins Ausland reisen. In Irland ertrinken sogar Nashörner.