Bloß den Ball flach halten

Deutschlands Handballer gewinnen ihren letzten Test vor der heute beginnenden WM gegen Russland überraschend hoch mit 34:27. Das sorgt zwar für Freude bei Bundestrainer Heiner Brand und seinen Spielern, aber keineswegs für zu viel Euphorie

aus Dortmund ANKE BARNKOTHE

Deutschland gegen Russland in der Dortmunder Westfalenhalle, das ist immer ein bisschen wie Boris Becker in Wimbledon: Viel Tradition, große Siege und jede Menge Emotionen, Wohnzimmeratmosphäre eben. Die deutschen Handballer waren als amtierender Weltmeister von 1978 Gastgeber der darauf folgenden WM und mussten 1982 eben in Dortmund ihren Titel an Russland abtreten, das sich damals im Endspiel gegen Jugoslawien durchsetzen konnte. Kein Wunder also, dass sich zum letzten Test vor der heute in Portugal beginnenden Weltmeisterschaft jede Menge Prominenz aus der Handballszene beider Länder eingefunden hatte. Selbst die russische Trainerlegende, der einstige Meistermacher Jewtuschenko, gab sich die Ehre, und der Kreisläufer aus seinem 82er- Team, heute Trainer bei GWD Minden, Aleksandr Rymanov, unterstütze das live übertragende DSF als Co-Kommentator.

Wie schon damals, so bot auch diesmal die mit 11.000 Zuschauern gefüllte Westfalenhalle eine stimmungsvolle Kulisse und trug bestimmt nicht unwesentlich zur aus deutscher Sicht gelungenen WM-Generalprobe bei. Zwar wollte keiner der handelnden Akteure das klare 34:27 überbewerten, Erleichterung und gute Laune war bei den meisten deutschen Spielern dennoch deutlich zu spüren. „Am meisten gemerkt hat man, dass die Russen heute zweimal trainiert haben“, gab etwa Klaus-Dieter Petersen grinsend Antwort auf die Frage, was denn bei der heutigen Begegnung das Auffälligste gewesen sei. Und fügte hinzu: „Bei uns ist der Ball gut gelaufen, jeder kämpft, es macht allen Spaß, und das merkt man eben.“ Womit der 34-jährige Kreisläufer vom THW Kiel den Nagel ziemlich auf den Kopf traf. Zumal die Abwehr, in der Petersen eine zentrale Rolle zukommt, trotz der 27 Gegentore wieder einmal sehr gut stand.

Auch der Bundestrainer vergaß sein Prunkstück nicht zu loben, hielt den Ball ansonsten aber flach: „Wir haben aus einer sicheren Abwehr heraus zu einem schnellen und variablen Spiel gefunden. Wir freuen uns natürlich über den Sieg, aber die Russen waren heute nicht so gut und etwas müde, deshalb verfallen wir auch nicht in Euphorie“, fasste Heiner Brand gewohnt unspektakulär zusammen, bevor er den Blick nach vorn schweifen ließ: „Wir wissen, welche Konkurrenz wir in Portugal haben, dort gibt es acht bis neun sehr gute Mannschaften, und da wird jedes Spiel wichtig sein.“

Dennoch: Die Deutschen können nun mit einem deutlich breiteren Kreuz in Portugal an den Start gehen als es noch vor gut zehn Tagen, nach der verletzungsbedingten Absage des überragenden Rückraumspielers Daniel Stephan, den Anschein hatte. Denn beim letzten WM-Test stand nicht nur die Abwehr inklusive der beiden Torhüter Ramota und Fritz gut, was den konsequenten und erfolgreichen Einsatz des Gegenstoßes ermöglichte, auch im Angriff scheinen sich die Spieler mit dem Ausfall von Stephan arrangiert zu haben. So agierte der erst 22-jährige Pascal Hens von der SG Wallau Massenheim im linken Rückraum ohne Furcht und ging immer wieder dahin, wo es im Handball weh tut – mit viel Druck nahe an die gegnerische Abwehr ran. Marcus Bauer vom TBV Lemgo wiederum führte in der Mitte überzeugend Regie und setzte Kreis- und Außenspieler, von denen besonders Christian Schwarzer und Stefan Kretzschmar zu überzeugen wussten, in Szene. Positive Akzente kamen zudem aus dem rechten Rückraum, wo der unverzichtbare Lemgoer Distanzwerfer Volker Zerbe wieder mit von der Partie ist.

Vor dem WM-Auftakt heute gegen Katar (15.15 Uhr) sowie anschließend gegen Australien (Dienstag) und Grönland (Donnerstag), braucht sich das Brand-Team ohnehin nicht zu fürchten. Mehr noch: Sollte sich die geschlossene Mannschaftsleistung im Turnierverlauf stabilisieren, rücken die Medaillenränge wieder in den Bereich des Möglichen.