Liebäugeln mit der Folter

„In den Augen der Welt ist Amerika nun ein Folterstaat“

aus Washington MICHAEL STRECK

Der Krieg gegen den Terror ist den USA offenbar den Bruch mit den eigenen Gesetzen, universellen Grundwerten, Völkerrechtskonventionen und Menschenrechtsbestimmungen wert. US-Geheimdienste stehen im Verdacht, gefangene mutmaßliche Terroristen systematisch zu foltern, um aus ihnen wertvolle Informationen herauszupressen. Außerdem werden Häftlinge Drittländern zum Verhör überstellt, die im Ruf stehen, Foltermethoden anzuwenden.

Als die Bilder von geknebelten Talibankämpfern um die Welt gingen, die auf dem US-Militärstützpunkt Guantánamo auf Kuba interniert wurden, sah sich Amerika Folteranschuldigungen ausgesetzt. Unabhängige Beobachter konnten diese jedoch entkräften. Die US-Regierung wurde fortan nicht müde, Folter offiziell zu verurteilen. Sie brandmarkte nicht nur Gegner wie Irak, sondern auch alliierte Länder wie Saudi-Arabien oder Jordanien. Außenminister Powell und Pentagonchef Rumsfeld erklärten wiederholt, die USA würden unter allen Umständen internationale Vereinbarungen zum Folterverbot respektieren.

Die Wirklichkeit in Verhörcontainern des CIA vor Ort sieht jedoch anders aus. Ende Dezember veröffentlichte die Washington Post einen schockierenden Artikel, in dem Geheimdienstagenten, die an Vernehmungen von Al-Qaida-Gefangenen beteiligt sind, detailliert über ihre Praktiken berichten. Die Häftlinge würden demnach regelmäßig so genannten Stress- und Nötigungstechniken ausgesetzt. Ihnen werden Medikamente verweigert, sie dürfen nicht schlafen, müssen im Dunkeln und in ermüdenden Körperhaltungen verharren und werden geschlagen. „Wenn man ihre Menschenrechte nicht manchmal verletzt, können wir unsere Mission nicht erfüllen“, wird ein Agent zitiert.

Die Verhöre werden nach Angaben der Zeitung in abgeriegelten Zonen auf der Bagram-Luftwaffenbasis nahe Kabul und auf einem Militärstützpunkt der Insel Diego Garcia im Indischen Ozean durchgeführt, die Großbritannien den Amerikanern zur Nutzung überlassen hat. Gefangene würden zudem an die Geheimdienste von Staaten wie Jordanien, Marokko und Ägypten übergeben, die im Kampf gegen den Terror als US-Verbündete gelten, jedoch dafür bekannt sind, brutale Verhörmethoden anzuwenden. Manche Häftlinge würden sogar mit einer konkreten Frageliste überstellt, die US-Ermittler beantwortet haben wollen. Als offizielle Gründe für den Transfer werden kulturelle Nähe und eine bessere sprachliche Verständigung mit den Häftlingen genannt. Rund 100 Gefangene sollen auf diesem Weg überstellt worden sein. Insgesamt sollen rund 3.000 mutmaßliche Al-Qaida-Terroristen – davon 625 in Guantánamo – seit dem 11. September weltweit verhaftet worden sein. Genaue Zahlen, Namen und Aufenthaltsorte hält die US-Regierung geheim.

Die Reaktionen auf die Enthüllungen waren in den USA erstaunlich verhalten. Es scheint, sie wurden von den Nachrichten über den Militäraufmarsch am Golf und einen möglichen Irakkrieg in den Schatten gedrängt. Die Bush-Regierung, Geheimdienste und Pentagon schweigen. Niemand im Kongress forderte bislang eine Untersuchung. Nur wenige Kommentatoren äußerten sich empört (der Begriff Folter wurde allerdings bei manchen durch „moderaten physischen Druck“ ersetzt) und mahnten Aufklärung an. Allein Menschenrechtsgruppen verurteilten die berichteten Vorfälle scharf.

Die Organisation Human Rights Watch hat Bush in einem Brief aufgefordert, unverzüglich Stellung zu dem Zeitungsbericht zu beziehen. „Das Weiße Haus feilt an einer Reaktion, da bin ich mir sicher“, sagt Tom Malinowsky vom Washington-Büro der Organisation. „Sie müssen reagieren, denn in den Augen der Weltöffentlichkeit ist Amerika nun ein Folterstaat.“ Das lange Schweigen erklärt sich Malinowsky aus der Brisanz der Vorwürfe. Er erwartet einen öffentlichen Auftritt von höchster Regierungsebene, in dem Folter klar verurteilt und sich von den Vorwürfen distanziert wird. Es dürften keine Zweifel bleiben, dass die USA auch nur mit der Möglichkeit folterähnlicher Methoden liebäugelt. Sollten sich die Anschuldigungen jedoch nicht ausräumen lassen, müsse die US-Regierung unmissverständlich deutlich machen, dass sie in Zukunft alles unternehmen werde, Folter zu vermeiden.

Da am Wahrheitsgehalt des umfangreichen Dossiers kaum gezweifelt wird, fragten sich Beobachter, warum jene Geheimdienstagenten und Regierungsbeamten, auf die sich die Informationen stützen, so auskunftsfreudig waren. Die britische Zeitschrift Economist spekuliert, dass diese Personen mittels der Presse bewusst eine Botschaft senden wollten: „Wir müssen diese Arbeit machen und wollen, dass die Öffentlichkeit es erfährt.“

Manche an den Verhören beteiligten Agenten scheinen aber ernsthaft zu hoffen, dass die US-Öffentlichkeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt Verständnis für ihre Methoden aufbringt, die den Willen der Gefangenen brechen sollen. Sie sind überzeugt, dass folterähnliche Praktiken in bestimmten Fällen „gerecht und notwendig“ sind, wenn es darum geht, Informationen zu erhalten, die zum Beispiel einen schweren Terroranschlag verhindern können. Ihr bislang geheimes und jetzt entlarvtes Credo: In Ausnahmesituationen ist die Anwendung physischer Gewalt an Gefangenen erlaubt.

Die Bush-Regierung hat stets betont, im Kampf gegen den Terror die westlichen Grundwerte wie Menschenrechte zu achten. Doch bereits im Internierungslager in Guantánamo handelt sie gegen diese Grundsätze. Zwar wird dort niemand physischer Gewalt ausgesetzt, sie verweigert jedoch – trotz anders lautender Ankündigung nach internationalem Druck Anfang vergangenen Jahres – den Häftlingen eine Behandlung nach der Genfer Gefangenenkonvention. Wenn CIA und Pentagon nun mittels Folter oder folterähnlicher Methoden mutmaßliche Terroristen zu Aussagen zwingen will, wäre dies ein dramatischer Rückschritt. Das selbst ernannte Reich der Freiheit und Menschenrechte wäre vom Terror in die Knie gezwungen. Amerikas ohnehin ramponiertes Image in der Welt als arrogante Supermacht würde weiter leiden.

Zusätzlich würde die USA die Zusammenarbeit mit ihren europäischen Partnern beim Kampf gegen den Terror aufs Spiel setzen. EU-Staaten liefern bereits jetzt gar nicht oder nur zögerlich verhaftete mutmaßliche Terroristen an die USA aus, da ihnen dort die Todesstrafe droht. Eine weitere Entfremdung zwischen alter und neuer Welt wäre die Folge. „Die USA sind zwar weit davon entfernt, zu den schlimmsten Menschenrechtsverletzern weltweit zu gehören. Aber sollte das mächtigste Land der Erde anerkannte und selbst mit durchgesetzte Standards missachten, gefährdet es die Situation der Menschenrechte weltweit“, sagt Kenneth Roth, Direktor von Human Rights Watch.