Hickhack um Piepmatz-Schutz

Ein halbes Jahr schon diskutiert der Senat, ob ihm das Angebot der EU genügt, 463 Hektar Vogelschutzgebiete wieder aufzuheben. Vielleicht ist ja „noch mehr möglich“, hofft die SPD. „Bremen unterläuft EU-Recht“, sagen die Grünen

Die SPD-Fraktion will sehen, „ob und wie weit man in Brüssel pokern kann“

taz ■ Die Rechtslage ist klar, die Unterlagen fertig und die Frist zu ihrer Abgabe längst abgelaufen. Auf die angeforderten Karten der Bremer Vogelschutzgebiete muss die EU-Kommission trotzdem noch warten. 463 der 7.361 Hektar, so das inzwischen sechs Monate alte Angebot aus Brüssel, könnten wieder abgemeldet werden – weil sie ornithologisch von zweitrangiger Bedeutung seien. Bremen hat darauf bis heute noch nicht geantwortet. „Die Abstimmung zwischen den politischen Beteiligten ist noch nicht beendet“, sagt Holger Bruns, Sprecher des Umweltressorts. „Da ist nichts mehr zu beraten – der Sachstand ist klar“, kritisiert dagegen die umweltpolitische Sprecherin der Grünen, Karin Mathes.

1995 hatte der grüne Umweltsenator Ralf Fücks eine Reihe von Flächen, darunter das Niedervieland und das Werderland, in Brüssel als Vogelschutzgebiete angemeldet – Auslöser der so genannten „Piepmatz-Affäre“, an der die Ampel-Koalition zerbrach. Die frisch gewählte große Koalition beantragte wenig später, den Vogelschutz auf 1.394 Hektar wieder zurückzunehmen. Das Wirtschaftsressort wollte freie Hand bei der Planung von neuen Gewerbegebieten – etwa im Niedervieland. Doch die Rechtslage sieht anders aus: Welche Flächen in der EU als Vogelschutzgebiet ausgewiesen werden, entscheiden in erster Linie die Vögel – und nicht die Politiker.

Die tun sich mit dieser Regelung reichlich schwer. Monatelang diskutierten Umweltressort, Wirtschaftsressort und Senatskanzlei, ob es Möglichkeiten gebe, das Diktum aus Brüssel zu umgehen, um den von manchen ungeliebten Vogelschutz auf weiteren Flächen aufzuheben, etwa mit einem weiteren Abmelde-Antrag. Ein hoffnungsloses Unterfangen, wie eine Mitarbeiterin der EU-Umweltdirektion betont: „Andere Gründe für die Rücknahme des Schutzes gibt es nicht.“

Trotzdem wollen etwa die Spitzen der SPD-Fraktion bei ihrem Besuch in der EU-Hauptstadt Ende des Monats auch bei der Umwelt-Direktion vorstellig werden. Man wolle „eruieren, ob noch mehr möglich ist“ und herausfinden, „ob und wie weit man pokern kann“, sagt Pressesprecher Werner Alfke. Zwar macht auch ein Vogelschutzgebiet etwa ein Gewerbegebiet nicht völlig unmöglich, wie das Beispiel Hemelinger Marsch beweist. Das Verfahren, um an eine Ausnahmegenehmigung zu kommen, sagt Alfke, sei jedoch „umständlich und langwierig“. Den Vogelschutz von vorneherein abzublocken sei da „wesentlich einfacher.“ „Die große Koalition versucht widerrechtlich, bestimmte Gebiete aus dem Vogelschutz rauszunehmen“, kritisiert Mathes. Und: „Die unterlaufen europäisches Recht.“

Das bestätigt auch die Umwelt-Direktion in Brüssel. Wie bei den FFH-Gebieten auch, deren Anmeldung Bremen bisher verweigert, sei die Hansestadt verpflichtet, die angeforderten Daten zu den Vogelschutzgebieten vorzulegen. „Wir warten auf Antwort“, heißt es aus Brüssel. Ein erstes Mahnschreiben trudelte kürzlich bei Umwelt-Senatorin Christine Wischer (SPD) ein.

Welche Flächen als Vogelschutzgebiet ausgewiesen werden, entscheiden die Vögel

Stellt sich der Senat weiterhin stur, droht Bremen nicht nur ein Klageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof wegen „Nicht-Mitarbeit“. Auch die Fördermittel aus EU-Töpfen, von denen Bremen bisher profitierte, stünden dann zur Disposition.

Armin Simon