Griff in die Bezirkskasse

Der Streit um die Schulden von Marzahn-Hellersdorf zeigt immer deutlicher, dass die Diskussion um die Unterfinanzierung der Bezirke mit rigorosen Maßnahmen des Senats nicht zu beenden ist

von WALTRAUD SCHWAB

Je länger die politischen Auseinandersetzungen um die Schulden von Marzahn-Hellersdorf gehen, desto deutlicher wird, dass sich hinter dem ganzen Desaster ein Politikum verbirgt, dessen wahre Ursachen die Unterfinanzierung der Bezirke und deren haushälterische Abhängigkeit vom Land Berlin sind. Sobald die Haushaltszahlen für 2002 vorliegen, wird sich zeigen, dass bis auf Reinickendorf und Steglitz-Zehlendorf auch die anderen neun Bezirke voraussichtlich ein Defizit erwirtschaftet haben. Treptow-Köpenick soll nach ersten Erkenntnissen im Bereich freiwillige soziale Leistungen um 300 Prozent überzogen haben, Neukölln um fast 100 Prozent.

Derzeitige Speerspitze der bezirklichen Verschuldung ist Marzahn-Hellersdorf. Dort wurde bis Ende 2002 ein Haushaltsdefizit von über 30 Millionen Euro erwirtschaftet. Allein im Bereich freiwillige soziale Leistungen, in den die Zuwendungen für freie Träger der Kinder- und Jugendarbeit fallen, wurde der Etat um 2 Millionen Euro überzogen. Dass sich solch ein Desaster anbahnen würde, ist schon seit längerem bekannt, wurde der Bezirk doch bereits letztes Jahr aufgefordert, ein Konsolidierungskonzept vorzulegen, das aber vom Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses als unzureichend zurückgewiesen wurde.

Der Senat gibt den Bezirken vor, wie viel Geld ihnen zur Verfügung steht. Im Rahmen der Sparvorgaben wurden dabei jedoch seit 1996 erhebliche Kürzungen auf die untergeordneten Verwaltungseinheiten abgewälzt. Proteste der Bürgermeister zeitigten kaum Wirkung.

Die bezirkliche Unabhängigkeit erlaubt den 12 Berliner Kommunen eigentlich, autonom über das Geld zu verfügen. Sie können Mehrausgaben in einem Bereich durch Minderausgaben in einem anderen ausgleichen. Daran habe Marzahn-Hellersdorf sich nicht gehalten, heißt es in den Bezirken, und mit dem Defizit nun den Senat herausgefordert. Der hat die Haushaltshoheit an sich gezogen. Sarrazin habe sich zum Jugendstadtrat erklärt, sagte der Hellersdorfer Bezirksbürgermeister Uwe Klett (PDS).

Die Solidarität der anderen Bezirke mit Mahrzahn-Hellersdorf ist geteilt. So ist der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky der Meinung, Hellersdorf habe seine Hausaufgaben nicht gemacht, keinen Haushaltsplan aufgestellt und sich somit aus der Verantwortung gestohlen. Aus seiner Sicht muss man am konkreten Sachverhalt streiten und nicht zum Totalverweigerer werden. „Sparen, wo Sparpotenzial ist, ist ja nicht schlecht. In Hellersdorf brennt die Luft, aber in Neukölln brennt sie auch.“ Burkhard Kleinert (PDS) aus Pankow ist vor allem erbost über die überzogene Reaktion des Finanzsenators. Er glaubt, dass es darum geht, den Bezirken gegenüber ein Exempel zu statuieren. „Hellersdorf hat sich weit vorgewagt. Das Unbotmäßige wird nun abgestraft.“ Für Marlies Wanjura (CDU), Bürgermeisterin in Reinickendorf, spitzt der Konflikt vor allem die Unterfinanzierung der Bezirke zu. Offenbar falle es dem Senat bei der ganzen Spardiskussion leichter, immer erst in die Bezirkskasse zu greifen.