Die Pest mit den Pestiziden

Agrarwende auch im Pflanzenschutz, fordern Umweltverbände, samt einer Pestizidabgabe. Bundesministerin Künast soll wegen hoher Kosten für die Allgemeinheit Spritzmittel auf Rezept vorschreiben. Erfolge mit solchen Regeln in Skandinavien

von HANNA GERSMANN

Rund eine Milliarde Euro geben deutsche Bauern jährlich für 30.000 Tonnen Gifte gegen Pilze, Kräuter, Insekten auf ihren Äckern und Wiesen aus. Weniger sollen es werden. So steht es im Koalitionsvertrag. Selbst die Agrarlobby stimmt dem zu. Schluss mit der Einigkeit ist allerdings genau dann, wenn es um das „Wie“ geht. Das wurde klar, als gestern auf der Grünen Woche Umweltvertreter, Landwirte, Politiker und Wissenschaftler zum ersten Mal öffentlich eine Strategie diskutierten.

Zwar werden die Spritzmittel immer wirksamer, die Bauern bringen aber weiterhin dieselbe Menge auf die Felder. Spuren von ihnen finden sich später im Oberflächen- und Grundwasser. Aber auch in Obst, Gemüse oder Getreide. So wies das Pestizid-Aktions-Netzwerk (www.pan-germany.org) 139 verschiedene, auch verbotene Wirkstoffe nach. Darunter einige, die möglicherweise Krebs auslösen oder das Hormonsystem durcheinander bringen. Die Folgekosten sind enorm. Allein Wasserversorger geben deshalb laut ihrem Bundesverband pro Kubikmeter Trinkwasser 20 Cent für die Aufbereitung aus.

Die grüne Landwirtschaftsministerin Renate Künast könnte etwa regeln, was Bauern künftig auf jeden Fall beim Spritzmitteleinsatz beachten müssen. Sie könnte auch die Zulassung von immer neuen Wirkstoffen einschränken. Was den Landwirten zu verbindlich erscheint, geht den Umweltverbänden nicht weit genug. Das Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN), Initiator der Diskussionsrunde gestern, legte einen 15 Punkte umfassenden Forderungskatalog vor. So schlägt PAN beispielsweise eine Rezeptpflicht für besonders giftige Pestizide vor. Bauern dürfen die Chemikalie erst dann kaufen, wenn die Bodenverhältnisse auf dem Acker unter die Lupe genommen, die nichtchemischen Alternativen geprüft wurden.

Wie seit langem die Umweltverbände fordert das PAN auch eine Abgabe auf Pestizide. „Nur so kann der Einsatz der Ackergifte finanziell gerecht veranschlagt werden“, erläutert Alexander Hiffping von Greenpeace. Bisher verdiene allein die chemische Industrie, der Bürger zahle drauf. Eine solche Abgabe solle für die Sanierung von Gewässern, aber auch für die Schulung der Landwirte eingesetzt werden.

Für einen solchen Vorstoß plädieren auch einige von Künasts Parteikollegen. „Pestizidsteuern sollten in Deutschland nicht länger tabuisiert werden“, sagt etwa die grüne Europaabgeordnete Hiltrud Breyer. So hätten vor allem die skandinavischen Länder nach solch einer Abgabe den Pestizideinsatz drastisch vermindert. In Dänemark etwa um 20 Prozent innerhalb von sieben Jahren. Ein Nebeneffekt, der auch Renate Künast gefallen würde: Zwischen konventionellen Äpfeln, Tomaten, Gurken und ihren Ökopendants glichen sich die Preise an.

Auch in Deutschland könne die Giftmenge auf den Äckern in den nächsten fünf Jahren halbiert werden – hatte der NABU Ende letzten Jahres vorgerechnet (taz vom 11. 12. 2002). Für Renate Künast wohl eher unrealistisch.