Ein Aufmarsch ohne Umkehr?

Zügig führen die USA und Großbritannien Truppen in die Golfregion. Dort heißt es: Warten auf den Einsatz

BERLIN taz ■ „Es gibt keinen ‚point of no return‘.“ Der Truppenaufmarsch am Golf, versichert US-Generalstabschef Richard Myers, sei „vollständig umkehrbar“. Dies gelte, schränkt der mächtigste Militär der Vereinigten Staaten dann aber ein, zumindest aus „militärischer Perspektive“. Gegenwärtig scheinen die Pentagon-Planer jedoch davon auszugehen, dass für ihren politischen Vorgesetzten George W. Bush der Punkt ohne Wiederkehr längst erreicht ist.

Erst vergangene Woche ordnete US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Verlegung von mehr als 60.000 weiteren US-Soldaten in die potenzielle Kriegsregion an. Auf ihren Marschbefehl in Richtung Golf warten nicht nur Truppen in den USA, sondern auch in Deutschland. Dazu gehören F-16-Kampfjets von dem im rheinland-pfälzischen Spangdahlem stationierten 52. Fighter Wing und Einheiten des V. Corps der US Army in Heidelberg.

Auch der engste Verbündete der USA setzt den Aufmarsch fort: Insgesamt 26.000 britische Soldaten werden als Bodentruppen an den Golf geschickt. Das erklärte gestern der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon im Unterhaus. Zur ihrer Ausrüstung gehören unter anderem 120 Panzer.

Die Anordnungen über weitere Truppenverlegungen scheinen zu belegen, dass der Krieg – anders als von der politischen Führung im Pentagon zunächst geplant – doch mit großer Truppenstärke geführt werden soll. Als die ersten konkreten militärischen Vorbereitungen für einen Irakkrieg vor einem Jahr begannen, träumten Hardliner wie Pentagon-Berater Richard Perle und Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz noch von einer Invasion nach dem „Modell Afghanistan“ – also einer Kombination von US-Luftangriffen, dem Einsatz von verdeckt operierenden Spezialeinheiten und der Unterstützung oppositioneller irakischer Kämpfer. Spätestens im Juni 2002 scheinen sich aber führende US-Militärs mit ihrer Forderung nach einem großen Aufmarsch von US-Truppen und einem Krieg nach, aus ihrer Sicht, „traditionellem Muster“ durchgesetzt zu haben. Seitdem gehen Beobachter davon aus, dass im Pentagon mit einer Invasionsarmee von bis zu 250.000 Soldaten geplant wird.

Schon jetzt sind allein in der unmittelbaren Nachbarschaft des Irak nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 40.000 und 60.000 US-Soldaten stationiert, die sich etwa zu gleichen Teilen auf Bodentruppen (etwa 15.000), Schiffsbesatzungen (14.000) und Luftwaffenpersonal (17.000) aufteilen. Damit ist die Truppenstärke schon jetzt mehr als doppelt so stark wie in den Jahren seit dem Golfkrieg 1991, als ständig zwischen 20.000 und 25.000 US-Soldaten in der Region stationiert waren. Der größte Teil der Bodentruppen steht in Kuwait, wo schon jetzt mindestens 15.000 Soldaten stationiert sind. Auch Bahrain und Katar sind wichtige Stützpunkte der US-Streitkräfte im Süden des Irak geworden. Im Norden würden die USA gerne die Türkei als Aufmarschgebiet nutzen, doch noch scheint sich Ankara gegen die massive Präsenz von US-Bodentruppen auf seinem Gebiet zu sträuben (siehe nächste Seite).

Einfacher ist es da für die USA, die Schlagkraft ihrer Luftwaffe zu erhöhen. Nach vorsichtigen Schätzungen haben die USA etwa 400 Kampfflugzeuge aller Art in direkter Nachbarschaft zum Irak einsatzbereit. Auch von der Lieblingswaffe der US-Militärs, dem Marschflugkörper vom Typ „Tomahawk“, stehen mindestens 200 Stück bereits in Reichweite des Irak bereit. Auch dies sind vorsichtige Schätzungen, denn verlässlich sind keine der kursierenden Zahlen über Truppenstärken, Einsatzgebiete und verfügbare Waffensysteme. Nach den Anschlägen vom 11. September wurde der Zugang zu militärischen Informationen nach Angaben von John Pike, Direktor des Washingtoner Informationsdienstes globalsecurity.org, auch in den USA erheblich eingeschränkt.

Zudem haben die USA ihre Fähigkeit verbessert, Truppenverbände zwischen ihren Stützpunkten in den USA oder Deutschland und dem Einsatzgebiet am Golf rotieren zu lassen. Das könnte auch noch geschehen, wenn eine Invasion des Irak schon begonnen hat. Doch ob die Streitkräfte unter Zeitdruck stehen, ist zumindest fraglich. Nach einem meteorologisch bedingten Zeitfenster, von dem viele Beobachter ausgehen, müssten sich die Planer zumindest nach Ansicht des renommierten Militäranalysten Bill Arkin nicht richten. „Für das US-Militär gibt es keine Einschränkungen mehr durch das Wetter“, versichert der ehemalige Geheimdienstoffizier der US Army im Gespräch mit der taz. Neue Technologien und bessere Ausrüstung hätten die Streitkräfte unempfindlich gemacht für klimatische Bedingungen. Zwar gehen Beobachter weiterhin davon aus, dass ein Krieg während des Winters einfacher zu führen wäre. Sind die politischen Rahmenbedingungen für einen Krieg aus Sicht des US-Präsidenten aber erst im Sommer optimal, würden diese wohl schwerer wiegen als die leichten militärischen Vorteile eines frühen Angriffs. ERIC CHAUVISTRÉ