kulturhauptstadt im kasten (1)
: Die Debatte ist eröffnet: Generalintendant Klaus Pierwoß zur Bremer Bewerbung für 2010

Aufbruchseuphorie zwischen Etat-Katastrophen

„Die Diskussion muss in Gang kommen“ – das forderte gestern Kultursenator Kuno Böse, als er den Senatsbeschluss zum vorläufigen Konzept der Bremer Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 2010 verkündete. Die taz-Bremen gehorcht: In der Serie „Kulturhauptstadt im Kasten“ beziehen Kulturschaffende, Mäzene und Entscheidungsträger der Stadt Position. Heute: Klaus Pierwoß, Sprecher der Kultur-Initiative Anstoß und Generalintendant des Bremer Theaters.

Die Bewerbung Bremens zur Kulturhauptstadt Europas 2010 ist aus Sicht der Bremer Kulturszene begrüßens- und unterstützenswert. Diese Bewerbung kann im Umgang mit Kultur in dieser Stadt einen Wendepunkt zum Positiven markieren, der allerdings für die kommenden Jahre auch dringend notwendig ist. Denn im schärfsten Kontrast zur Aufbruchseuphorie steht die aktuelle Finanz-Situation von Kunst und Kultur.

Das System der Kontrakte über die städtischen Zuwendungsbeträge, die zwischen dem Senat und den Kultureinrichtungen für die Jahre 2003 - 2005 abgeschlossen werden und unabhängig (!) von der Kulturhaushaltsentwicklung Planungssicherheit geben sollten, ist zusammen gebrochen, weil die kmb für 2004 ein Finanzdefizit von 8 Millionen € und für 2005 von 12 Millionen € errechnet hat. Sofort hat die Stadt ihr zentrales kulturpolitisches Anliegen dieser Legislaturperiode fallen gelassen beziehungsweise auf das Jahr 2003 eingeschränkt. Unabhängig davon, dass es bei diesen Kontraktentwicklungen Schwierigkeiten zwischen dem Kultursenat und einzelnen Instituten gab, so war das Ganze doch der erste Versuch, zu einer Planungssicherheit zu kommen.

Die Diskrepanz zwischen den Blütenträumen der Kulturhauptstadtbewerbung und den bevorstehenden Etatkatastrophen könnte nicht größer sein. Und diese Situationsbeschreibung ist keine Dramatisierung der Kulturszene, sondern belegt durch O-Töne des für Kultur verantwortlichen Senators Kuno Böse, der verlautbarte: Erstens, dass die Kulturinstitutionen die Tarifsteigerungen selbst zu erwirtschaften hätten und es – zweitens – dadurch zu Restriktionen kommen werde. Wo er Recht hat, hat er Recht: nicht gezahlte Tarifsteigerungen sind Etatkürzungen.

Ausgenommen das Theater bis zum Juli 2004 ist die übrige Kulturszene nicht einmal für 2004 abgesichert. Herr Böse macht darauf aufmerksam, dass die Fortführung des derzeitigen Kulturetats politisch nicht mehrheitsfähig ist.

Wen wundert es eigentlich, wenn die Kulturinitiative Anstoß auf ihrem Neujahrsempfang auf diese Widersprüchlichkeiten aufmerksam macht? Verkommt die Kulturhauptstadtbewerbung zu einem Potemkinschen Dorf? Will die Stadt in der Formel 1 mit einem Trabi starten? Will die Stadt bei ihrer Bewerbung mit einschrumpfenden Kulturinstitutionen Punktgewinne machen?

Dieser Aberwitz kann sich nur produktiv aufheben, wenn die Kunst- und Kulturinstitutionen der Stadt, die der FAZ-Korrespondent Dirk Schümer einmal als Bremens Reichtum beschrieben hat, ab sofort leistungsfähig ausgebaut werden. Der Riesenerfolg der van-Gogh-Ausstellung demonstriert eindrucksvoll, zu welchen Rekordleistungen eine Bremer Kultur-Institution fähig ist, so sie denn finanziell angemessen ausgestattet ist. Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen, wenn die politischen Entscheidungsträger sieben Jahre nach „Anstoß“ Kunst und Kultur als Sanierungsfaktor ausrufen. Spät, aber noch nicht zu spät.

Jedoch: Auch schon der Bewerbungsweg zur Kulturhauptstadt muss etwas von einem erfolgreichen Zieleinlauf vorwegnehmen. Und dafür müssen die Voraussetzungen umgehend geschaffen werden.

Klaus Pierwoß