Grüne finden Ratzmann todschick

Grünen-Fraktion wählt wie erwartet Volker Ratzmann zum neuen Chef und Nachfolger Wielands. Die FDP sieht bei ihm „Beißreflexe gegenüber bürgerlichen Parteien“

Exakt fünf Blumensträuße rollte die Fraktionspraktikantin kurz vor Sitzungsbeginn in den Saal 107 des Abgeordnetenhauses. Wer noch Überraschungen für die Vorstandswahl bei der Grünen-Fraktion erwartet hatte, konnte spätestens jetzt nach Hause gehen. Zu genau abgezählt waren die Sträuße – für vier Vorstandsmitglieder und Wolfgang Wieland (54), den scheidenden Chef. „Ist doch alles schon eingetütet“, sagte eine Abgeordnete resigniert. Aber Gegenstimmen für den designierten neuen Fraktionschef Volker Ratzmann werde es geben – weil im Vorstand die Umweltpolitik und Ratzmann die nötige Erfahrung fehle, weil man langjährige Abgeordnete als zu alt ausgebootet habe.

Tatsächlich gab es dann vier Neinstimmen für den 42-jährigen Anwalt und Innenpolitiker. Ratzmann hatte vorgebaut, ging von einer Wahl aus, aber nicht von 100 Prozent Zustimmung – „wir sind ja hier nicht im Osten“. Immerhin sei er ja auch erst wenig mehr als ein Jahr dabei.

Ratzmann führt die Fraktion in einer Doppelspitze mit Frauen- und Arbeitspolitikerin Sibyll Klotz (41), seit 1992 fast durchweg im Vorstand. Wiedergewählt wurde auch die Wissenschafts- und Wirtschaftexpertin Lisa Paus (34) als Fraktionsvize. Neu in dieser Rolle ist der Finanzexperte Oliver Schruoffeneger (40). Auch diese drei erhielten vier bis fünf Gegenstimmen.

Exchef Wieland kam 1987 erstmals ins Abgeordnetenhaus, war mehrfach Fraktionschef und in der rot-grünen Koalition sieben Monate Justizsenator. Er sei nicht zum Rückzug gedrängt worden, sondern habe selbst entschieden, den Vorsitz abzugeben und nur noch einfacher Abgeordneter zu sein. Zum Ende der Legislaturperiode 2006 will Wieland auch das Landesparlament verlassen und möglicherweise in den Bundestag.

„Schlecht für Schwarz-Grün“, kommentierte vor dem Sitzungssaal der CDU-Abgeordnete Alexander Kaczmarek. Ratzmann gilt als Linker, der mit der Union partu wenig anzufangen weiß und noch weniger mit den Avancen von CDU-Fraktionschef Frank Steffel, der laut über eine schwarz-grüne Annäherung nachgedacht hat. Diese Option ist mit Ratzmann dahin, meint FDP-Fraktionschef Martin Lindner: „Ihm schwebt doch mehr das Modell Rot-Rot-Grün vor.“

Lindner sieht bei Ratzmann „Beißreflexe gegenüber bürgerlichen Parteien“. Die müsse er ablegen, wenn ihm an einer Zusammenarbeit in der Opposition gelegen sei. CDU-Mann Steffel gab sich „völlig unvoreingenommen“, will Ratzmann in den nächsten Tagen zu einem persönlichen Gespräch einladen.

In der rot-roten Koalition erwartet man keine Schwierigkeiten mit dem neuen linken Spitzenmann. Gute Erfahrungen habe er mit Ratzmann gemacht, sagte SPD-Fraktionschef Michael Müller. „Er ist ein Mensch mit politischer Vernunft, mit dem man auch verlässlich und offen reden kann.“ PDS-Fraktions- und Parteichef Stefan Liebich erwartet keine Änderung der politischen Linie bei den Grünen, „auch wenn Ratzmann und Wieland sehr unterschiedliche Typen sind“. Er selbst kenne Wieland deutlich besser. Doch Wirtschaftssenator Harald Wolf und sein Bruder Udo, PDS-Vizechef, hätten sehr persönliche Kontakte zu Ratzmann – „und das muss ja nicht von Schaden sein“.

STEFAN ALBERTI