G-8-Proteste im ZDF

Ein starker Film über das Elend des G-8-Gymnasiums – und eine bessere Idee: in der „37°“-Reihe des ZDF (22.15 Uhr)

Die Feuerzangenbowle hat viel kaputtgemacht. In dem Film von 1944 zaubert Heinz Rühmann alias Dr. Pfeiffer spannenden Frontalunterricht in ein stocksteifes Gymnasium. Seitdem arbeiten sich Filmer an dem Klischee ab, dass ein Lehrer eine Klasse von vorne belehren kann, wenn er witzig und gelehrt ist. Die Reportage-Redaktion von „37°“ nimmt nun im Mainstream-Fernsehen endlich einen anderen Blickwinkel ein. Tina Radke-Gerlach zeigt Bilder des neuen Lernens, im 30-Minuten-Film „Schwere Last auf schmalen Schultern“, der eigentlich dem Elend eines G-8-Gymnasiums nachgeht.

Erstmalig sind zur besten Sendezeit Sequenzen dessen zu sehen, was gern als Kuschelpädagogik denunziert wird. Mit Richard (14), aus dem Achtjahresgymnasium geflohen, erleben die Zuschauer, wie individuelles Lernen aussieht – und wie befreiend es sein kann. Die Filmemacher bringen es sogar fertig, Morgenkreis, Freiarbeit und Wochenpläne halbwegs plausibel zu machen. Mit Wochenplänen brechen Lehrer stoffüberladene Lehrpläne auf und ersetzen sie durch individuelle Aufgaben. Wochenpläne seien da, sagt Richard, „dass man sich ein Thema selbst erarbeitet und sich selbst einteilen kann, was man wann macht“.

Der Sinn des individuellen Lernens wird in dem Film umso deutlicher, weil es mit der Idiotie eines hessischen G-8-Gymnasiums verschnitten wird. Die Brüder Lukas und Nikolai haben dort an zwei Tagen je unschaffbare neun Stunden Unterricht – und müssen dabei acht Fächer über sich ergehen lassen. Während Richard an der Jenaplanschule, einer der besten deutschen Schulen, fächer- und jahrgangsübergreifend lernt, versuchen die G-8-Lehrer in der Akkord-und-Pauk-Schule, den Brüdern im 45-Minuten-Takt Wissen einzutrichtern. „Ich glaube“, sagt Nikolai, „dass auch die Lehrer drunter leiden, dass sie den Schülern alles reinbimsen müssen.“

Die „37°“-Reportage hat holzschnittartige Momente, wenn der glückliche Richard etwa der todtraurigen Jeannette gegenüber gestellt wird, bei der Schule „ohne Medikamente nicht mehr geht“. Als Zuschauer ist man da längst in der Sache versunken und fragt sich: Wie konnten Lehrer es zulassen, dass die didaktisch ohnehin unterentwickelten Gymnasien durch die Verkürzung der Abizeit zu reinen Büffelanstalten gemacht wurden?

Der Film lenkt die Aufmerksamkeit auch auf eine andere Gruppe, die wie ohnmächtig ihre Kinder diesen Maschinerien ausliefert – die Eltern. Sie schauen zu, wie ihre Kinder bis zum Abend sinnlos Vokabeln pauken. Aber die Mutter ist nicht zu mehr in der Lage, als ihr Bedauern zu äußern, „dass Schule so wenig kindgerecht ist“.

Ein starker Film also. Schade nur, dass das ZDF dann doch einem dummen Reflex verfällt: den Oberlehrer der Nation in einer Podiumsdiskussion dazu zu befragen. Josef Kraus, der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, darf am Mittwoch auf dem ZDF-Dokukanal sprechen. Kraus, der härteste denkbare Lobbyist der dreigliedrigen Schule, steht in der Tradition des frontalen Lehrkonzepts. Er gehört in die Feuerzangenbowle – nicht in eine Sendereihe über Lernen heute. CHRISTIAN FÜLLER

Mehr bei „37°“: „Immer am Limit. Lehrer und ihr harter Job“, 7. 10., 22.15 Uhr