new yorker untergrundbewegungen von PIA FRANKENBERG
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Neulich las ich in der New York Times vom Streik der öffentlichen Verkehrsbetriebe in Deutschland, und sofort befiel mich tiefe Sorge. Ich dachte an meinen letzten Besuch in Berlin, wo die U- und S-Bahnen zwar beneidenswert reibungslos verkehrten, zugleich jedoch sehr viele traurige, Bier trinkende Männer transportierten, sodass ich eine neue Regel vermutete, nach der man gleichzeitig mit dem Fahrschein mindestens eine Bierdose erwerben muss.

Einige der unglücklichen Männer berichteten von ihrem schrecklichen Schicksal, gleichzeitig stiegen in munterem Wechsel Fahrkartenkontrolleure zu. Gleich am ersten Tag gelang es mir, auf fünf Fahrten viermal kontrolliert zu werden. Nach einer Woche lag ich nachts wach und grübelte, ob man aus all den Unglücklichen nicht einfach viel beschäftigte Kontrolleure machen könnte, kam aber zu keinem Ergebnis und schlief wieder ein.

In New York ist Trinken in der Subway streng verboten. Doch auch über uns schwebte wochenlang die Drohung eines Streiks, der, wäre er eingetreten, uns diese und andere Errungenschaften des öffentlichen Verkehrsnetzes schmerzlich hätte vermissen lassen, insbesondere so beruhigende Ansagen wie „Ladies and Gentlemen, we will be moving momentarily“, während man irgendwo in einem Tunnel zwischen 42nd Street und Rockefeller Center altert. Der Umsatz an Laufschuhen nahm jedenfalls rapide zu, und der Bürgermeister kaufte sich unter reger Anteilnahme der Lokalpresse ein Fahrrad. Seine und die Gesundheit seiner Bürger ist ihm nämlich eine Herzensangelegenheit, weshalb er New York kürzlich zur sekundärrauchfreien Zone erklärte. Ab dem Frühjahr wird in Restaurants und Kneipen nicht mehr gequalmt, ausgenommen in Zigarren-Bars.

Die alte Bag-Lady, die fröhlich an einem Zigarrenstumpen schmatzend meinen U-Bahnwagen enterte und in kürzester Zeit das Abteil zuquarzte, kümmerten offenbar weder Gesundheit noch Etikette. Sie fluchte wie ein Droschkenkutscher: Fuck the CIA! Fuck the FBI! Alles Lügner, Diebe, Kriminelle! Dem ließ sich ja nun beim besten Willen nicht widersprechen, worauf sie sich zufrieden einen Schluck aus ihrem Flachmann gönnte. Wir Mitreisende atmeten derweil Sekundärrauch, der für die nächsten zwanzig Jahre reichte.

Den Blick starr auf einen Fluchtweg gerichtet, lasen meine Augen routinemäßig „do not hold doors“ über der Tür, nur – so erkannte ich durch die Schwaden – stand da jetzt „do not bomb Iraq“. Gleiche Schrifttype, passgenau ausgeschnitten, perfekt geklebt. Von so viel geballter Subversion beflügelt, verließ ich eine Station später mit einer nach Atem ringenden Mitreisenden den Untergrund. Draußen sahen wir uns aus tränenden Augen an, und sie krächzte: „I didn’t want to say anything, you know, she just seemed to be so happy!“ Genau.

Und aus diesem Grunde, liebe U- und S-Bahn-Fahrer Berlins, erhebe ich meine Bierdose und bringe einen Toast aus auf die New Yorker Subway! Es geht nämlich nichts über eine fröhliche Runde Schnaps und eine gute Zigarre.