„Deutschland ist ein Chaos“

Bei der TV-Messe NATPE werden in dieser Woche die aktuellen Programmtrends im internationalen Fernsehen präsentiert. NATPE-Chef Johansen über die Krise, Kirch und das Verhältnis zu Deutschland

Ursprünglich war die NATPE, die alljährliche Fernsehmesse der National Association of Television Program Executives, eine rein amerikanische Angelegenheit. Doch die seit Montag laufende Produktionsschau ist längst auch Pflichttermin für deutsche Sender und Produzenten. Denn Deutschland ist nach den USA der umsatzstärkste Fernsehmarkt der Welt. Und so wenig sich deutsche Produktionen international verkaufen lassen, so sehr gehören US-Filme und Serien zur Grundausstattung des deutschen TV-Programms. Ein Gespräch mit NATPE-Präsident Bruce Johansen.

taz: Hat Sie die weltweite Fernsehkrise überrascht?

Bruce Johansen: Was bei uns passiert, schlägt sich etwa ein halbes Jahr später auch in Europa nieder. Mit dem Kirch-Crash sah man auch in Deutschland den Ernst der Lage, in den USA zeichnete sich die Krisensituation seit Sommer 2001 ab.

Wer ist wirklich schuld an der Misere in Deutschland? Die Sender? Leo Kirch ganz alleine? Und vor allem: Wie geht es jetzt weiter?

Wie in den USA ist der deutsche TV-Markt ein Chaos, und das aus ganz ähnlichen Gründen – eine Kombination aus Verschuldung wegen zu teurer Firmen- und Programmeinkäufe und leichtsinnigen Börsenspekulationen. Jetzt ist Konsolidierung angesagt. Der Werbemarkt ist weltweit zwar immer noch bedenklich, aber es wird mittelfristig eine Stabilisierung geben. Am Ende wird alles besser, aber der Prozess ist schmerzhaft. Der deutsche Markt wird sich bereinigen, mit weniger Firmen, die aber stärker sein werden.

Was bedeutet das für die Reste des Kirch-Konzerns?

Der Kirch-Crash hat die Branche bei uns natürlich besonders aufhorchen lassen. Aber ich habe den Eindruck, als ob aus den Trümmern etwas entsteht, das wieder mehr Stabilität in den sonst noch immer unsicheren Markt bringt. Gerade von den früher zu Kirch gehörenden Sendern sind neue Deals mit Paramount und Disney abgeschlossen worden, Einigungen mit den anderen großen Studios stehen wahrscheinlich bald an. Dann wird es auch wieder mehr Wettbewerb in Deutschland zwischen den privaten Blöcken geben.

Gibt es so etwas wie universelle Herausforderungen für die Branche?

In den USA haben wir immer besonders die kreative Seite betont, mit Geschäftsbedingungen, die nicht mehr aufrechtzuerhalten sind: Hohe Produktionsbudgets, hohe Gagen – das ist generell nicht mehr machbar. Bereits jetzt werden die Kosten drastisch heruntergefahren, die Risiken auf so viele Partner wie möglich verteilt, mehr als je zuvor. Dazu gehört auch, dass die Werbeindustrie in den kreativen Prozess lange vor dem ersten Dreh, in die Entwicklung der Filme und TV-Programme mit einbezogen wird. Die Pharma- und Autoindustrie, Konzerne wie Coca-Cola, die spielen nun eine noch wichtigere Rolle – und das schon bei der Produktion.

Was bedeutet das konkret?

Nehmen Sie „24“, eine Serie auf dem Fox-Network, die letztes Jahr gestartet ist. Jede einstündige Episode läuft komplett ohne Werbeunterbrechung, vielleicht auch dadurch ist „24“ ein großer Erfolg. Das funktioniert, weil Ford alle Fahrzeuge für die Serie zur Verfügung gestellt und die Produktion mitfinanziert hat. Das ist ein Beispiel, wie die Geschäftsmodelle sich demnächst ändern werden, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und Deutschland.

Dieses so genannte „Bartering“ gilt in Deutschland eher als Schleichwerbung.

Das stimmt. Der ökonomische Druck, aber eben auch die rechtliche Lage erschweren in Deutschland die Produktion neuer, massenwirksamer Produkte. Die entsprechenden Gesetze müssen daher dringend überdacht werden.

Auch die NATPE leidet unter der Branchenflaute. Früher kamen über 15.000 Besucher aus aller Welt. Wie sieht es jetzt aus?

Ich denke, wir werden um 8.000 Besucher haben, darunter sind allerdings nach wie vor fast alle wichtigen großen Studios und Sender wie NBC, CBS und Fox. International haben wir auch weniger Teilnehmer, aber auch hier sind die großen Player und Sender alle dabei – mit Ausnahme von ARD und ZDF. Viele reisen jetzt aus Kostengründen nicht mehr mit großen Mannschaften an, dafür aber umso hochkarätiger besetzt.

Ihre Prognose für die künftige Entwicklung der TV-Beziehungen: Wird Deutschland international überhaupt noch ernst genommen?

Diese Verbindung wird mit Sicherheit noch intensiver, denn der Trend zu großen Koproduktionen bleibt. Die momentanen Finanzprobleme haben Deutschland als Partner der amerikanischen Film- und Fernsehindustrie da keinesfalls diskreditiert. Aber man wünscht sich schon, dass sich die deutsche TV-Branche schnell aus eigener Kraft aus dem Schlamassel herauszieht und wieder ein wichtiger internationaler Player wird.

INTERVIEW: WILFRIED URBE