Der Konvent ist renitent

Der Konvent gewinnt deutlich an Dynamik, seit es um konkrete Verfassungstexte geht

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Dass Macht fast so sexy ist wie Geld, zeigte sich zu Wochenbeginn im Plenum des Konvents, der die Europäische Union reformieren soll. Während sonst die Sitzungen von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden, drängten sich dieses Mal die Kamerateams um gute Positionen und die Journalisten um Plätze im Saal. Nur der Finanzministerrat, der das Defizitverfahren gegen Deutschland einleitete, war noch besser besucht.

Zwar hatten im vergangenen Jahr viele Redner in der so genannten Phase des gegenseitigen Zuhörens treuherzig betont, man müsse doch erst über Werte und Ziele reden, bevor man die weniger wichtige Frage anpackt, wofür die drei Institutionen Rat, Parlament und Kommission künftig zuständig sein sollen. Auch viele NGOs, die sich eifrig an der Wertedebatte beteiligen, halten die Machtfrage für bürgerfern.

Der Konvent selber gewinnt aber deutlich an Dynamik, seit es um konkrete Vorschläge und Texte zu diesem Thema geht. Ähnlich wie vom grünen Delegierten Johannes Voggenhuber prophezeit, nahm das Gremium den deutsch-französischen Beitrag zur Reform der Institutionen nicht mit lauter Rebellion auf, sondern mit stiller Renitenz. Das Papier fordert einen ständigen Vorsitz für den Europäischen Rat, ohne genau auszuführen, welche Befugnisse mit diesem Amt verbunden sind.

Als die holländische Europaparlamentarierin Hanja Maij-Weggen am Montag vorrechnete, 35 Redner hätten sich bereits zu Wort gemeldet und 24 davon seien deutlich gegen das deutsch-französische Papier, erntete sie für diese Fleißarbeit stürmischen Beifall. „Der Konventspräsident hört häufig der Mehrheit nicht so genau zu“, stellte die Rednerin fest. Sie wolle daher sicherstellen, dass das Ergebnis des Konvents wirklich die Meinung der Beteiligten widerspiegele. Der portugiesische Europaparlamentarier Luis Marinho blieb die Ausnahme, als er zugab, angesichts der deutsch-französischen Initiative resigniert zu haben. „Die Würfel sind gefallen“, sagte er. „Noch vor wenigen Monaten war der Konvent kühn, jetzt nimmt der Pragmatismus überhand.“

Tatsächlich reagierten die meisten Delegierten mit Pragmatismus, Gelassenheit, aber auch einer guten Portion Chuzpe auf den Versuch, den Konvent mit dem neu gestarteten deutsch-französischen Motor platt zu walzen. „Seit fünfzig Jahren hat es deutsch-französische Vorschläge gegeben“, meint der französische Institutionen-Experte Alain Lamassoure. „Wenn sich die beiden Großen einig sind, kann Europa vorankommen“, glaubt der Europaparlamentarier, ergänzt aber listig: „Das heißt keineswegs, dass Europa dann genau das macht, was die beiden wollen.“

In diesem Sinne gehen die meisten Delegierten mit dem deutsch-französischen Vorschlag um – sie picken einfach die Elemente heraus, die ihrer Vorstellung eines künftigen Europa entgegenkommen. Qualifizierte Mehrheit bei allen Entscheidungen im Rat, Trennung seiner gesetzgeberischen und exekutiven Aufgaben, öffentliche Tagungen im neuen Legislativrat – wunderbar. Ein europäischer Außenminister, der gleichzeitig Rat und Kommission angehört – eine alte Forderung. Volles Budgetrecht fürs Europaparlament und gleichberechtigte Mitentscheidung in allen Bereichen – nichts dagegen.

Sogar der Bundesaußenminister beteiligte sich an der Übung, das von ihm mitverfasste Papier als Steinbruch zu benutzen, aus dem man die nutzbaren Teile herausschlagen kann. Fischer verweilte liebevoll beim europäischen Außenminister. Werde Europa doch damit „endlich das lang ersehnte Gesicht auf internationaler Ebene erhalten“. Er zeigte auch große Sympathie für die Idee, den Kommissionspräsidenten künftig nach jeder Europawahl vom neuen EU-Parlament wählen zu lassen. Davon profitiere am meisten „der Unionsbürger, der mit seiner Stimme bei der Europawahl Einfluss auf die Zusammensetzung der Kommission nehmen kann“.

Tatsächlich hatte gerade nach der letzten Wahl 1999 der Widerspruch zwischen konservativer Mehrheit im neuen EU-Parlament und sozialistischer Mehrheit in der Kommission viele Wähler irritiert. Das Gefühl, man habe mit seiner Stimme keinerlei Einfluss auf die Zusammensetzung der Kommission, hat zur EU-Verdrossenheit und zur traditionell niedrigen Beteiligung an Europawahlen erheblich beigetragen.

Was den neuen Ratspräsidenten angeht, blieb Fischer auffällig wortkarg. Andere Konventsmitglieder übernahmen es, ihn rednerisch auf die Funktion eines reinen Sitzungsvorstehers zurückzustutzen. Um die Befürchtungen der kleinen Länder zu zerstreuen, fordert der britische Regierungsvertreter Peter Hain eine genaue „Jobbeschreibung“ für diesen „Sitzungspräsidenten“.

Über die Achse Paris–Berlin werden die 105 Politiker, die eine Reform der Union zuwege bringen sollen, nicht stolpern. Viel mehr dürfte ihnen in den nächsten Monaten das strenge Korsett zu schaffen machen, das Konventspräsident Giscard d’Estaing verordnet hat. Denn während die Konventionalisten sich im Plenum die Köpfe heiß reden, feilt sein Sekretariat am neuen Vertrag.