Lonely at the Top

Das Lichtmeß-Kino zeigt am Donnerstag mit den beiden Dokumentationen „Gasherbrum – der leuchtende Berg“ und „The Making of ,Everest‘“ zwei sehr unterschiedliche Zeugnisse vom menschlichen Größenwahn

1984 hatte Reinhold Messner nur noch vier Zehen. Trotzdem startete er mit seinem Kompagnon Hans Kammerlander zu einer einzigartigen Expedition. Ihr Ziel war eine Doppelbesteigung, von zwei Achttausendern im Karakorum-Gebirge im Norden Pakistans. Die als Gasherbrum I und II bekannten Gipfel wollten sie ohne Sauerstoff, mit einer nur minimalen Ausrüstung und ohne eine Zwischenstation im Basislager überschreiten.

Der Regisseur Werner Herzog, für seine Faszination an solchen Gewaltakten nicht erst seit seinem Spielfilm Fitzgeraldo berühmt, hat die beiden Gipfelstürmer bei ihrer Tour de force begleitet. Dabei ist der 45-minütige Dokumentarfilm Gasherbrum – Der leuchtende Berg entstanden, der nun zusammen mit der 1996 produzierten Dokumentation The Making of „Everest“ von Greg MacGillivray im Lichtmeß Kino zu sehen ist.

Herzogs Film versucht, mit langsamen Kamerafahrten und spärlichen Kommentaren der Frage nachzugehen, worin die offenbar unstillbare Sehnsucht einiger weniger besteht, ihr Leben bei dieser extremen Form der Naturbeherrschung immer wieder aufs Spiel zu setzen. In den festgehaltenen Gesprächen mit Reinhold Messner wird trotz des in erster Linie abenteuerlichen Themas die altbekannte Dialektik deutlich, derzufolge Aufklärung in ihrer letzten Konsequenz wieder in Mythos umzuschlagen droht.

Messner, der technisch versierte und jede Kleinigkeit kalkulierende Profi ist zwar bereit, seine Art von Weltbezwingung als Degenerationserscheinung der Menschheit zu bezeichnen, aber auf die Frage nach dem Warum seines unermüdlichen Bergsteigerwahns hüllt er sich in Schweigen oder weicht aus in Vergleiche zu großen Künstlernaturen, deren Wirken unter Einsatz des eigenen Lebens ebenfalls als unerklärlich gilt. Wo es aber an Erklärungen mangelt, ist der Mythos von der archaischen Suche nach den eigenen Grenzen nicht weit. Diese Rätselhaftigkeit bleibt auch dem Film erhalten, denn Herzog musste im Basislager zurückbleiben. Die wenigen Aufnahmen vom Erklimmen der beiden Gipfel wurden von Messner selbst mit einer kleinen Handkamera gemacht. Das Fesselnde dieser Dokumentation besteht vor allem in der von jedweder Verklärung entfernten Sachlichkeit, mit der Werner Herzog in seinen Bildern und seinen Fragen dem Menschen Reinhold Messner näher zu kommen scheint, als es diesem auf seinen einsamen Ausflügen auf das Dach der Welt selbst gelungen ist.

Eine ganz andere Perspektive auf Größenwahn eröffnet der Film von Greg MacGillivray The Making of „Everest“, der das bis dato wohl waghalsigste Projekt der Filmgeschichte zu beschreiben versucht. MacGillivray, der mit über 20 produzierten IMAX-Filmen als wichtigster Regisseur dieser Art von Film gilt, machte sich 1996 zusammen mit seinem Team und einer internationalen Bergsteigergruppe auf den Weg, um auf dem Gipfel des Berges der Berge einen Film im qualitativ hochwertigen IMAX-Format zu drehen. Zu den ohnehin schon extremen Anforderungen einer Besteigung des Mount Everest kam nun die Schwierigkeit, die mehr als 20 Kilogramm schwere Kamera und das dazugehörige Material auf den Gipfel zu befördern.

Die vorliegende Dokumentation berichtet vom Verlauf dieses wahnsinnigen Unterfangens und erzählt unter anderem vom Unglück einer zur selben Zeit gestarteten Bergsteigergruppe, deren Tod die Mitglieder des Filmteams über mehr als nur die Anfälligkeit des eigenen Drehbuchs belehrte. In dem seit 1998 in den IMAX-Kinos gezeigten und mittlerweile auch auf DVD erhältlichen Film ist das mit seiner Produktion verbundene Schreckensszenario natürlich zugunsten der atemberaubenden Bilder des Himalaya-Gebirges in den Hintergrund geraten.

Matthias Seeberg

Donnerstag, 20 Uhr, Lichtmeß