Chancen des Lebens

Eine Jugend in der polnischen Provinz mit James Dean und The Smiths: Mit Przemyslaw Wojcieszeks Debüt „Louder Than Bombs“ zeigt das Metropolis jetzt den ersten Film einer monatlichen Reihe von neueren Produktionen aus Polen

Im Supermarkt gibt es mehr Platz als in der Kirche

von CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

Die Firma von Krystynas Vater macht in Dichtungen. Bei der Abreise wird ihm seine Frau empfehlen, doch mal im Klo nachzusehen, wohinein ihm ein begehrter Prototyp des Sanitärteilchen gefallen sein könnte. Während er den in zu großen Mengen verzehrten Wodka obenrum entsorgt hat. Als sozusagen negative Prototypen laufen in Przemyslaw Wojcieszeks Debüt Louder Than Bombs die Erwachsenen herum. „Fettsack“ ist nur eines der Worte, das die Jugendlichen für sie bereithalten. Nicht einmal die Eltern selbst halten sich für Vorbilder.

Erwachsene sind nicht ganz dicht, mögen Rock und Heavy Metal von der Band Comet, tragen 50er-Jahre-Brillen und -Frisuren, oder sie mögen gar nichts, denn sie sind vom Leben enttäuscht. Kaskas Mutter, frustriert von Ehe und Provinzdasein, würde die Tochter am liebsten zwingen zu ihrem Glück. Das heißt: ein Leben im Ausland. In Chicago wohnt ein Onkel, der Kaska als Babysitter aufnehmen will. „Das ist die Chance deines Lebens!“ Auf keinen Fall soll sie dem Beispiel der Mutter folgen und eines jungen Mannes wegen bleiben.

Kaska selbst ist schwer verliebt. Trotzdem wird sie in wechselnden Situationen immer neue Legenden stricken um ihr Reisevorhaben. Ihr Freund Marcin, der als Automechaniker arbeitet, hält das nicht aus. Als sie von einem Studium der polnischen Literatur in den USA schwärmt, steht er wütend auf und verlässt die Tischrunde. Auch die Kamera wendet sich ab, wenn wieder mal die Rede von Kaskas blühender Zukunft ist. Marcin, gerade damit beschäftigt, seinen Vater zu beerdigen, ist sowieso sicher, sie werde im Ausland als Putzfrau für fremde Leute enden.

Damit Kaska bleibt, würde er gerne sein Leben ändern. Er weiß nur nicht, wie. James Dean, den er verehrt, kann ihm da auch nicht weiterhelfen. Der hätte im Gegensatz zu Marcin, wie andere ihm oft vorhalten, immer gewusst, was er in solchen Situationen tun muss. Da ist es schöner, The Smith zu hören. Die Stimmung ihrer Alben, von denen eins dem Film den Namen gab, entspricht Marcins Lebensgefühl. Schon in der Eingangssequenz seines Films baut Wojcieszek das Cover eines Smiths-Albums nach. Es ist das erste, zu sehen ist der nackte Oberkörper eines jungen Mannes. Dass Marcin, der Handwerker, ein Fan der feinsinnigen Band aus Manchester ist, nimmt Kaska für ihn ein. Und vielleicht geht es ja doch: das Leben der Eltern nur äußerlich zu leben, aber ganz, ganz anders drauf zu sein. Und: „Erfolg kann jede Minute kommen“, weiß Kuba, der Talentjäger.

Dass im polnischen Film die Vergangenheit dominiere, ist eines der harnäckig in der hiesigen Kritik sich haltenden Vorurteile. Viel mehr als die „kurzen“ und andere Filme Krystof Kieslowskis über irgendwas wurde ohnehin selten im Ausland wahrgenommen. Die Zeit bedeutungsschwerer Literaturverfilmungen, wie Mit Feuer und Schwert von Henryk Sienkiewicz oder Pan Tadeusz von Andrzej Wajda, hat längst einer Beschäftigung mit dem polnischen Alltag Platz gemacht, durch eine um zwei Generationen jüngere Garde von Filmemachern. Der katholische Glaube, von dem so viele der alten Filme getränkt sind, taugt nun oft nur noch als Bildreservoir, als Stützrad für eine eierige Fahrt durchs kapitalistische Straßengewirr. „Ich liebe Supermärkte. Es ist so schön sauber hier und es gibt viel mehr Platz als in der Kirche“, findet ein Skater in Louder Than Bombs. Und Friedhöfe sind wie 24-Hour-Shops. Wojcieszeks Film eröffnet in diesem Monat im Metropolis einen zunächst auf ein Jahr angelegten Streifzug durch polnische Spielfilme der letzten zwei bis drei Jahre, viele von ihnen Debüts.

Mo (in Anwesenheit des Regisseurs), 21.15 Uhr + Di, 19 Uhr, Metropolis