off-kino Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Ein Milieu-Film, oder besser: ein „Milljöh“-Film, spielt „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ doch im Berliner Arbeiterbezirk Wedding. Für sein realistisches Sozialdrama aus dem Jahr 1929 ließ sich Regisseur Piel Jutzi von Heinrich Zille inspirieren; erzählt wird eine tragische Familiengeschichte vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise, als Arbeitslosigkeit, Kriminalität und beengte Wohnverhältnisse an der Tagesordnung waren. Lösungen für die Probleme der Zeit hat der Film nicht anzubieten, sämtliche Illusionen erweisen sich als ebensolche: Die Kinder wollen nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben, und Karl Marx hängt zwar noch als Porträt herum, wirkt aber schon ziemlich angestaubt. Mutter Krausens „Glück“ ist bittere Ironie: Sie dreht den Gashahn auf.

„Mutter Krausens Fahrt ins Glück“, 29. 1. im Arsenal 2

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Die Kombination von Trick- und Realfilm in technischer Perfektion bietet „Stuart Little 2“ von Regisseur Rob Minkoff: Stuart, der kleine computeranimierte Mäuseheld, bewegt sich wie selbstverständlich in der Welt der Menschen, und die Abenteuer, die er diesmal vor allem in seinem Modellflugzeug erlebt, wirken überaus spektakulär. Von der Handlung her betrachtet, variiert das Sequel den Originalfilm: Stuart fühlt sich in seiner liebevollen Adoptivfamilie erneut ein wenig unverstanden, wieder zieht er hinaus in die gefährliche Stadt. An die Stelle jagdlüsterner Katzen tritt ein fieser Falke, und für das melodramatische Moment sorgt eine „falsche“ Freundin – im ersten Teil waren es noch betrügerische Mäuseeltern, die Stuart in emotionale Verwirrung stürzten. Der Film besitzt den Charme einer Familienkomödie der Fünfzigerjahre, was nicht zuletzt an Hugh Laurie und Geena Davis liegt, die mit ironischer Übertreibung Stuarts besorgte Adoptiveltern mimen, und an der Ausstattung und Garderobe, deren Retro-Charakter sich oft erst in den Details erkennen lässt. Gibt es heute tatsächlich noch Frauen, die mitten im Sommer Handschuhe tragen?

„Stuart Little 2“, 26. 2. im Thalia 2

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Ein pessimistischer Abenteuerfilm: In „Der Tod in diesem Garten“, ehemals auch bekannt als „Pesthauch des Dschungels“, präsentiert Luis Buñuel eine zusammengewürfelte Gruppe von Opportunisten, die sich nach einer Rebellion in einer südamerikanischen Bananenrepublik auf der Flucht durch den Dschungel befinden. Die Moral des Films ist typisch buñuelesk: Je weiter sich die Charaktere – unter ihnen eine Prostituierte (Simone Signoret), ihr Zuhälter und ein scheinheiliger Priester (Michel Piccoli) – von den Regeln der verkommenen bürgerlichen Ordnung entfernen, desto menschlicher werden sie. Als jedoch die Rettung naht und die Rückkehr in die Zivilisation möglich erscheint, fallen alle wieder in ihre alten Verhaltensmuster zurück: Letztlich überleben nur der Abenteurer mit den wenigsten Illusionen und eine harmlose junge Frau, die Verkörperung der Unschuld. Bei alledem bleibt „Der Tod in diesem Garten“ ein spannender Abenteuerfilm mit Szenen, die einem immer wieder vor Augen führen, warum man Buñuel so liebt: Als einige Soldaten einen Gefangenen zum Verhör bringen, führt sie der Weg direkt durch eine Kirche. Sorgfältig vollziehen die Soldaten alle religiösen Gebräuche – im nächsten Moment misshandeln sie den Gefangenen aufs Übelste.

„Der Tod in diesem Garten“ (OmÜb), 28. 1. im Arsenal 1

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Religion und Metaphysik waren sein Thema, und seine Filme sind geprägt von langen, ruhigen Einstellungen. In „Die Passion der Jungfrau von Orléans“ (1928) erkundet der dänische Regisseur Carl Theodor Dreyer ausführlich das expressive Gesicht Maria Falconettis (als Jeanne d’Arc) und die Charakterköpfe ihrer Inquisitoren und Richter in ruhigen Großaufnahmen. Zu erkennen ist auch ein Gesicht mit markant hervorstehenden Wangenknochen: der Schriftsteller und Schauspieler Antonin Artaud, der hier den Mönch verkörpert, der Jeanne auf den Feuertod vorbereitet. Auch Luis Buñuel kannte Artaud übrigens flüchtig: Einmal, so schreibt der Regisseur in seiner Autobiografie, habe er ihn zufällig in der U-Bahn getroffen. Doch weil Artaud gerade furchtbar mit den Armen gefuchtelt und mit sich selbst geredet habe, habe er ihn doch lieber nicht stören wollen.

„Die Passion der Jungfrau von Orléans“, 24. 1. im Arsenal 2

LARS PENNING