Zufriedenheit vor Leistung

Das Argentinien der Gegenwart, der Traum von Italien und ein Hauch von Anarchismus: Das Debüt der jungen argentinischen Regisseurin Sandra Gugliotta, „Un día de suerte“

„Mehr Leistung, weniger Stress“ verspricht Elsa ganz am Anfang von „Un día de suerte“ den Passanten auf den Straßen von Buenos Aires, doch die sind nicht so leicht für Vitaminpillen zu begeistern. Die politische und wirtschaftliche Situation in Argentinien droht zu eskalieren, jeden Tag gehen die Menschen auf die Barrikaden und demonstrieren – für einen politischen Wechsel, gegen die Arbeitslosigkeit, dafür, dass sie wenigstens Strom in ihren Häusern haben. Elsa (Valentina Bassi) ist Mitte zwanzig und hält sich mit nervigen Gelegenheitsjobs über Wasser: mehr Leistung, weniger Stress.

Über den argentinischen Alltag hinweg, in dem es an allem fehlt, träumt Elsa einen italienischen Traum: Sie möchte weg aus Buenos Aires, nach Italien. Dort lebt Cándido, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hat und der sie zu sich nach Rom eingeladen hat: „Wenn du kommst, dann werfen wir Münzen in die Fontana di Trevi!“ Außerdem ist Italien das Land, aus dem Elsas Familie stammt. Vor Jahrzehnten ist ihr Großvater auf der Flucht vor der Armut in seiner sizilianischen Heimat aufgebrochen nach Argentinien, wo er Glück oder zumindest Wohlstand vermutete.

Jetzt, im Argentinien der Gegenwart, driftet seine Enkelin durch ihr Leben, sucht nach weiteren Jobs, um den Flug nach Italien bezahlen zu können, feiert mit ihren Freunden, die ebenso traumwandlerisch wie sie durchs Leben taumeln, und setzt schließlich gegen die allgemeine Unentschiedenheit zumindest ihren sicheren Wunsch, weit fortzugehen. Immer wieder fragt Walter, mit dem sie eine Beziehung irgendwo auf halbem Weg zwischen Freundschaft und Liebe hat, was sie eigentlich wolle in Italien. Meistens sagt Elsa gar nichts, aber einmal antwortet sie doch: „Zufrieden sein.“

„Un día de suerte“ ist das Debüt der jungen argentinischen Regisseurin Sandra Gugliotta, und so wenig wie seine Protagonisten scheint dieser Film sich festlegen lassen zu wollen: Ein Spielfilm mit einer klaren Handlungsführung, dem ein deutlich strukturiertes Drehbuch zugrunde liegt. Das schon. Trotzdem wirkt der Film oft spontan und improvisiert; die meisten Szenen spielen im Freien und sind mit beweglicher Kamera gedreht. Immer wieder sind in diese Außenaufnahmen dokumentarische Sequenzen hineingeschnitten: Demonstranten in den Straßen von Buenos Aires, die auf Kochtöpfe schlagen und skandieren: „Queremos luz“ – „wir wollen Strom“, brennende Barrikaden und emporgehaltene Transparente. Diese Passagen wirken authentisch und wirklichkeitsnah auch dort, wo sie inszeniert sind. Ebenso gut kann es aber passieren, dass durch dieselben Straßen derselben Stadt plötzlich statt der Demonstranten eine braun gescheckte Kuh wandert – eine Kuh, von der die Protagonistin Elsa nachts geträumt hat und die kraft dieses Traums nun tatsächlich existiert.

Es weht eben ein Hauch von Anarchismus durch Sandra Gugliottas Film – ein Anarchismus, den Elsas italienischer Großvater im Film mit Überzeugung lebt. Er mischt sich unter die Demonstranten, ihm scheint der Aufruhr ein Zeichen dafür zu sein, dass endlich eine neue Zeit der Ideen und Ideale anbricht. Deshalb schlägt er auch Elsas Angebot aus, sie nach Italien zu begleiten. Auch wenn er Heimweh hat und nie aufhört, Italienisch zu sprechen – für ihn ist trotzdem klar: „Aus diesem Scheißland geh ich nicht mehr fort!“

Stattdessen geht Elsa, die schließlich doch Mittel und Wege gefunden hat, ihre Reise zu finanzieren. Dass sie im Italien ihrer Träume nicht das finden würde, was sie dort eigentlich suchte, das war von Anfang an klar. Ein bisschen verloren schwankt ihr schwerer Koffer auf Rollen über das Kopfsteinpflaster von Rom, droht immer umzustürzen und stürzt doch nicht. Dass Elsa mit ihren Grübchen aber womöglich auch mal einen Glückstag haben könnte, das war eigentlich auch klar.

ANNE KRAUME

Argentinien 2002, 35 mm Farbe, 94 min, OmU, in den Kinos fsk, Hackesche Höfe, Termine siehe cinema-taz