Abtreibungen für Wurstfabrik-Job

Angeblich haben vier Frauen einer Stelle beim Fleischverarbeiter Kemper den Vorzug vor einer Schwangerschaft gegeben. Das berichten die Beratungsstellen und die Debatte um Diskriminierung entflammt erneut

Eine völlig freiwillige „Entscheidungshilfe“ sollten sie angeblich sein: Die Schwangerschaftstests, die eine Betriebsärztin arbeitssuchenden Frauen vor der Einstellung bei der Wurstfabrik Kemper in Nortrup im Landkreis Osnabrück anbot. Die meisten Tätigkeiten beim Fleischverarbeiter mit seinen 1.300 Arbeitsplätzen finden in Kühlhäusern statt, in denen Temperaturen von unter zwei bis sieben Grad herrschen, deshalb sei diese Art der „Beratung“ der Frauen im Sinne des Arbeitsschutzes, befand das Osnabrücker Gewerbeaufsichtsamt vor drei Wochen. Die Debatte über die angeblich diskriminierenden Methoden bei Kemper verstummte (taz berichtete).

Wie sehr die arbeitssuchenden Frauen unter Druck gesetzt wurden, machen nun die Schwangerschaftsberatungsstellen im Landkreis Osnabrück öffentlich. Nach Angaben von Pro Familia und Donum Vitae haben mindestens vier Frauen abgetrieben, um den Urintest zu „bestehen“ und den Job zu bekommen.

Das Verhalten bei Kemper sei „nicht nur ein Verstoss gegen die guten Sitten“, findet der SPD-Sozialexperte Uwe Schwarz. Deshalb will er per dringlicher Anfrage im niedersächsischen Landtag erfahren, ob das Gewerbeaufsichtsamt und die zuständigen Ministerien gut genug aufgepasst haben. Vor allem empört er sich, dass Sozialministerin Mechthild Ross-Luttmann (CDU) betroffenen Frauen geraten hat, sich bei dem Amt zu offenbaren, das bislang aus seiner Sicht nicht ordentlich gehandelt hat.

Das Gewerbeaufsichtsamt habe die Beratungsstellen aufgefordert, Namen der Frauen zu nennen, die abgetrieben haben, da sonst die Fälle nicht verfolgt werden könnten, sagt ein Ministeriumssprecher. Ross-Luttmann werde bald Gespräche mit dem Landkreis Osnabrück und der dortigen Frauenbeauftragten führen.

Vor Ort lehnte es der Kreistag ab, das Thema zu behandeln: Es bestehe „keine Dringlichkeit“, befanden CDU, FDP, SPD und Unabhängige. Das empört den Grünen Hartmut Heyl: „Hier wird alles totgeschwiegen“. Heyl hält die Argumentation des Amts, mit den Schwangerschaftstests sei Kemper seiner Fürsorgepflicht nachgekommen, für abenteuerlich: „Dann müsste die Betriebsärztin die Tests allen Frauen jede Woche einmal anbieten“.

„Unverantwortlich“ findet indes der Linkspartei-Sozialexperte Patrick Humke-Focks die Aussage der Ärtzekammer, die Betriebsärztin habe aus “präventivmedizinisch motivierten Gründen“ zu den Tests, die bis zum Sommer stattfanden, geraten: Diese seien „ein klarer Verstoß gegen das Arbeitsrecht“ gewesen. KAI SCHÖNEBERG