Eine Familie für sich

Auch bei den Australian Open kann den Geschwistern Williams niemand das Wasser reichen. Damit stehen sich Venus und Serena zum vierten Mal in Folge in einem Grand-Slam-Finale gegenüber

aus Melbourne DORIS HENKEL

Wenn Venus und Serena Williams über ihre Leistung reden, dann benutzen sie mit Vorliebe die Bezeichnung „A game“ und „B game“. A steht für 1a, B für 1b. Der Unterschied ist nicht allzu groß, aber doch signifikant: Mit dem A game sind sie unschlagbar, mit dem B game haben die anderen eine kleine Chance. So wie Kim Clijsters aus Belgien, die Donnerstag im Halbfinale der Australian Open 6:4, 3:6 und 5:1 gegen Serena führte, bei 5:2 zwei Matchbälle vergab, ehe Serena scheinbar übergangslos von B auf A beschleunigte und die gute Kim mit ihrem Latein dann doch am Ende war.

Man fragt sich, was passieren muss, um die Williams aus der Ruhe zu bringen, aber es fällt einem nichts ein. Viel frustrierender hätte es für Serena nicht laufen können bis zu jenen beiden Matchbällen im Halbfinale. Ihr Spiel strotze von Fehlern, Clijsters setzte ihr mächtig zu, drei Blasen unterm Fuss machten die Rennerei nicht zum Vergnügen, und die Unterstützung von den Rängen hielt sich in Grenzen.

Von den 15.021 Plätzen in der Rod Laver Arena waren schätzungsweise 15.000 von Clijsters-Fans besetzt. Von denen gibt es in Australien jede Menge; „unsere Kim“, sagen sie, und es gibt nicht wenige, die die unkomplizierte, meist gut gelaunte Belgierin mehr ins Herz geschlossen haben als deren Verlobten Lleyton Hewitt.

Clijsters bestand später darauf, sie habe nichts machen können – bei den Matchbällen nicht und hinterher auch nicht mehr. Und es war in der Tat faszinierend, wie Serena Williams von dem Moment an, als es um alles ging, auf einmal jeden Ball nach Belieben traf. Zuerst dachte sie: Okay, ich will hier nicht 1:6 verlieren. Der nächste Gedanke war: Ich will kein 2:6, mit 3:6 war sie auch nicht zufrieden – und schon war’s passiert. Von B nach A in null Komma nichts.

Und doch gibt es, wenn man sie fragt, eine Spielerin, die zur Zeit besser in Form ist: Venus, die große Schwester. Die spielte beim Sieg gegen die andere Belgierin, Justine Henin-Hardenne, beim 6:3, 6:3 von Anfang bis Ende 1a, und nun ist es also wieder soweit: Zum vierten Mal in Folge bei einem Grand-Slam-Turnier – nach Paris, Wimbledon und New York im vergangenen Jahr – heißt das Finale Williams gegen Williams. Vielleicht stimmt es sogar, dass die Konkurrenz diesmal ein wenig näher gerückt ist – zumindest auf Kim Clijsters trifft das zu –, aber wenn’s ums Ganze geht, sind die unglaublichen Schwestern doch wieder unter sich.

Viermal in Folge dasselbe Finale, das hat es in der Geschichte des Frauentennis in der Profizeit noch nicht gegeben. Dass zwei Spielerinnen eine Ära dominiert haben, ist dagegen nicht neu. Es gab die Zeit von Navratilova und Evert, die sich zwischen 1983 und 1986 achtmal im Finale trafen, es gab Navratilova und Graf allein dreimal anno 87, und zwischen Graf und Seles hätte es sicher mehr als nur vier gemeinsame Begegnungen gegeben, wenn im April 1993 in Hamburg nicht jener Verrückte erschienen wäre, der Monica Seles ein Messer in den Rücken rammte.

Einen kleinen „Familien Slam“ haben Venus und Serena nun also schon in der Tasche, und um das andere Ding, das die Kandidatin selbst als „Serena Slam“ bezeichnet, geht es am Samstag im Finale. Auch wenn es sich vielleicht inzwischen herumgesprochen hat: Zu einem Grand Slam im Tennis braucht man Siege bei den Turnieren in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York innerhalb eines Kalenderjahres, und das hat seit Steffi Graf 1988 keine Frau und kein Mann mehr geschafft.

Aber vier Titel in Folge sind auch nicht schlecht, und genau darum geht es Serena. In Paris vergangenes Jahr hat sie die Schwester in zwei Sätzen besiegt, desgleichen in Wimbledon und in New York, und am Schluss hatte man den Eindruck, dass selbst Venus ihre kleine, unerschütterliche Schwester nicht mehr gefährden kann. Venus führt zwar noch im internen Duell mit 6:5 gegen Serena, doch deren letzter Sieg stammt aus dem Finale der US Open 2001 und liegt damit schon fast anderthalb Jahre zurück.

Melbourne ist gewissermaßen der letzte weiße Fleck auf der Landkarte der Familie Williams. Ihn zu besetzen hat eine Bedeutung, genauso wie auch der erste Sieg in Paris eine ganz spezielle Bedeutung hatte. Eine Weile lang hieß es: Auf Sand können die Williams nicht spielen – bis Serena in Paris gewann; eine Weile hieß es: In Melbourne sind sie nicht stark, weil sie Anfang des Jahres erst langsam in Form kommen. Aber auch das hat sich nun erledigt.

Die Frage, was sie noch vom „Serena Slam“ trenne, beantwortet die Kandidatin so: „Ein Spiel – und Venus.“ Also dann.