Eine Reporterin macht Politik

Die Journalistin Yvonne Ridley verteidigte die Taliban, deren Gefangene sie war. Nun wirbt sie für Frieden im Irak

War sie leichtsinnig? Oder war es die alte Reportersehnsucht, ganz nah dran zu sein? Das kann heute keiner mehr sagen. Vor zwei Jahren reiste die britische Journalistin Yvonne Ridley nach Afghanistan, das damals ein orthodox-muslimischer Gottesstaat war. Kontrolliert von den Taliban. Von dort wollte die Reporterin berichten. Illegal. Ohne Papiere reiste Ridley in ein Land, aus dem die Medien Finsteres über verschleierte Frauen und bärtige Männer vermeldeten.

Sie flog auf. Die Starreporterin, deren seriöse Geschichten für Zeitungen wie den Independent und Observer ihr bis dahin einen guten Ruf eingebracht hatten, war Gefangene der orthodoxen Muslime. „Als Geisel fand ich die Taliban schrecklich“, erzählte sie dem Spiegel.

Ihre Festnahme allein hätte gereicht für ein paar diplomatische Verwicklungen. Doch inzwischen hatten Terroristen die Bürotürme in New York einstürzen lassen. Afghanistan galt als die Heimat der Attentäter. Ridleys anfangs vielleicht naiver Ausflug hatte endgültig weltpolitische Bedeutung erlangt.

Doch die Starreporterin, die dem Westen gruselige Details aus ihrer Zeit bei den Taliban hätte liefern können, verweigerte sich der Vereinnahmung. „Die Taliban haben mich mit Respekt und Höflichkeit behandelt“, erzählte sie nun, nach ihrer Rückkehr, anderen britischen Journalisten. Sie schrieb ein Buch über ihre Erfahrungen und beschäftigte sich intensiver mit dem Islam. Die britischen Zeitungen versorgten ihre Leserschaft daraufhin mit Einzelheiten aus Ridleys Privatleben: Für die gefährliche Reise an den Hindukusch habe die allein erziehende Mutter ihr Kind zurückgelassen, dreimal sei die heute 44-Jährige geschieden worden.

Ridley wehrte sich. Unter anderem warf sie dem britischen Geheimdienst vor, er habe ihre Exekution durch die Taliban provozieren wollen. Als die ehemalige Protestantin im letzten Jahr zum Islam übertrat, waren Wahrheit und Lüge schon nicht mehr voneinander zu trennen.

Seit letztem Sonntag tourt Yvonne Ridley nun für die Globalisierungskritiker von Attac durch 17 deutsche Städte, um für die Demonstrationen gegen den Irakkrieg zu werben. Doch ihre erste „Friedenstour“-Rede beim Göttinger Attac-Treffen am letzten Sonntag geriet zum Fehlstart. Sie begann mit einem Gruß an die „heroischen Kämpfer der Intifada“. Statt über den Irakkrieg zu sprechen, geißelte sie die israelische Besatzungpolitik. Unter den Zuhörern gab es Proteste. Man wollte nicht, dass Attac in den Geruch kommt, antiisraelisch zu sein.

„Die Probleme mit Ridley konnten in einem Gespräch ausgeräumt werden“, sagte ein Attac-Tourveranstalter gestern zur taz. Ridley sei auf die Besonderheiten der deutschen Debatte über den israelisch-palästinensischen Konflikt hingewiesen worden. Ridley habe sich für die Bedenken gegen ihre Rede „sehr offen“ gezeigt. Inzwischen rede sie auf den Veranstaltungen über das eigentliche Thema: den drohenden Irakkrieg.

In neun deutschen Städten wird Yvonne Ridley, die sich in Großbritannien in der Antikriegskampagne „Stop the War“ engagiert, in den nächsten Tagen noch zu sehen sein. Heute in Köln und Bad Kreuznach, morgen in Bochum und Gießen. Der Streit über die Aktivitäten der abenteuerlustigen Reporterin wird weitergehen.

MATTHIAS BRAUN