Weltsozialforum zieht nach Indien

Gegen den erklärten Willen der lateinamerikanischen OrganisatorInnen beschloss die Führung, das globalisierungskritische Meeting 2004 erstmals in Indien abzuhalten

PORTO ALEGRE taz ■ Die zentrale interne Entscheidung des diesjährigen Weltsozialforums ist gefallen: Genau in einem Jahr findet die wichtigste Großverstaltung der globalisierungskritischen Bewegung nicht mehr im brasilianischen Porto Alegre statt, sondern in Indien. Dazu hat sich der Internationale Rat, das höchste Gremium des Forums, noch vor der offiziellen Eröffnungsveranstaltung durchgerungen.

Am Ende der zweitägigen Sitzung am Mittwochabend traten die grundlegenden Differenzen innerhalb des Führungspersonals der Bewegung so deutlich zutage wie noch nie. Auf der einen Seite standen die meisten Vertretern aus Lateinamerika und die Mehrheit des achtköpfigen brasilianischen Organisationskomitees, das seit Ende 2000 die Großveranstaltung in Porto Alegre organisiert und dieses De-facto-Monopol gerne behalten hätte. Auf der anderen Seite plädierten sämtliche Redner aus Afrika und Asien dafür, dass die immer wieder beschworene „Internationalisierung“ des Prozesses sich auch im Austragungsort niederschlagen müsse.

Diese Konstellation war nicht ganz neu. Bereits vor Jahresfrist hatten indische Organisationen angeboten, das dritte Weltsozialforum bei sich auszurichten. Damals beschloss der Rat, erneut an der bewährten Lösung Porto Alegre festzuhalten, und empfahl den Indern, als Probelauf erst einmal ein Regionaltreffen auf die Beine zu stellen.

Nun fand das Asiatische Sozialforum vor drei Wochen mit großem Erfolg im indischen Hyderabad statt (die taz berichtete). Nur: Die wenigsten lateinamerikanischen AktivistInnen bekamen davon etwas mit. Und ihre eigene Agenda, vor allem der Widerstand gegen die gesamtamerikanische Freihandelszone von Alaska bis Feuerland, ist ihnen wichtiger als die Vernetzung mit der gegenüberliegenden Seite des Globus.

Aber so etwas darf man natürlich nicht laut sagen. Daher verlegten sich die Vertreter des Status quo auf eine recht scheinheilige Argumentation: Natürlich habe niemand etwas gegen Indien, doch aus „technischen, nicht politischen Gründen“ sei es angebracht, kommendes Jahr überall Regionalforen anzusetzen, in Indien etwa ein „afrikanisch-asiatisches“. 2005 stehe Porto Alegre wieder als Tagungsort für das Weltsozialforum bereit.

Auf diesen faulen Kompromiss wollten sich die zahlenmäßig klar unterlegenen Afrikaner und Asiaten nicht einlassen. Schließlich hatte Diskussionsleiter Francisco Whitaker vom brasilianischen Organisationskomitte ein Einsehen und band auch die hartnäckigen Kubaner ein, die den Beschluss „wegen des fehlenden Konsenses“ vertagen wollten. Per Akklamation bekam Indien den Zuschlag – Porto Alegre ist 2005 wieder dran.

„Es war eine schwierige Geburt“, sagte Nicola Bullard vom thailändischen Thinktank „Focus on the Global South“. Das „fantastische Ergebnis“ werde in Asien „Begeisterung auslösen und neue Energien freimachen“. Die Inderin Meena Menos vom Asiatischen Sozialforum freute sich gegenüber der taz über den „Riesenschritt von der derzeitigen Dominanz westlich orientierter weißer Männer hin zu einem wirklich pluralistischen Prozess“.

„Wir wollen unsere Vielfalt feiern, unsere unterschiedlichen Ideen und Weltanschauungen – nur so macht doch Politik Spaß“, meinte Meena Menos und berichtete: „Als ich das zu einem Kollegen aus Lateinamerika gesagt habe, war seine Antwort: Ich würde nicht so weit gegen, die Unterschiede zu feiern, aber ich werde sie tolerieren.“

GERHARD DILGER