Ein Dorf mit Konzept

Lohmen in Mecklenburg-Vorpommern bietet keine Spektakel. Touristen kommen trotzdem gern. Klein ist deshalb die Arbeitslosenziffer

von CHRISTINE BERGER

Eigentlich birgt der Ort nichts Besonderes. Einen Campingplatz am See, zwei Gasthöfe, eine Landfleischerei und eine Rehaklinik. Dass Urlauber dennoch immer wieder den Achthundertseelenort besuchen und ihren Caravan zwischen Baum und Borke parken, ist dem Geist des Ortes zu verdanken. Der setzt nicht nur auf Schnitzel mit Spiegelei im Landgasthof, sondern auch auf Kulturelles.

„Wir mussten die Flucht nach vorn antreten, das hat sich gelohnt“, bringt es ein Dorfbewohner auf den Punkt. Statt mit anzusehen, wie die Touristen zur nahe gelegenen Müritz oder gleich an die Ostsee strömen, haben die Bewohner nachgedacht und Anreize geschaffen. Anreize zu bleiben, sich zu erholen und vor allen Dingen Geld dazulassen.

So wirkt und waltet unter anderem seit zwei Jahren das Projekt „Kunstkur“ im Dorf. Künstler, so die Idee der Initiatorin Carmen Mörsch, sollen sich im Dorf erholen und als Gegenleistung zu ihrem Aufenthalt künstlerisch mit Bewohnern und Besuchern arbeiten. So bietet etwa der Berliner Medienkünstler Alfred Banze regelmäßig in den Sommerferien seine Campingakademie an und realisiert mit den Teenagern aus den umliegenden Wohnwagen Musik- und Videoprojekte, brennt CDs und gestaltet Cover.

Die Kids nehmen das Experimentieren mit den Medien begeistert auf. Ein Grund, weshalb manche Eltern sich mittlerweile gerne für den Urlaub in Lohmen entscheiden.

Die Offenheit für solche Projekte hat Lohmen national und international bekannt gemacht. Zu verdanken hat der Ort, der mit nur drei Prozent Arbeitslosigkeit in der Region einzigartig gut dasteht, dies vor allem ihrem derzeit beurlaubten Bürgermeister Bernd Dikau, der nach Querelen vorerst keinen Dienst tun darf. Kein Mann der Worte, sondern eher der Taten, sagte er zunächst zu allem Ja und Amen, was dem Ort nach Schließung der LPG neue Impulse geben konnte.

Etwa das Angebot einer Partnergemeinde in Schleswig-Holstein, eine Anlage für betreutes Wohnen preiswert nachzubauen und so die Projektierungskosten zu sparen. Weil der Ort anfangs keine elektrifizierte Straßenbeleuchtung hatte, lud Dikau kurzerhand Laternenfirmen ein, Lohmen als Demonstrationsort zu nutzen. So standen mehrere Jahre lauter verschiedene Laternen im Ort.

Dikau war es auch, der bei einem Botschaftertreffen im nahe gelegenen Güstrow den Kontakt zu Gabun herstellte. 74 Familien im Ort pflegen mittlerweile eine Patenschaft mit einem afrikanischen Kind. Gegenseitige Besuche und eine Fahrradwerkstatt, in der alte Velos für Menschen in Moabi (Gabun) fit gemacht werden, gehören zur Dorfkultur.

Doch kein Erfolg ohne Konzept, und das war in Lohmen zwar relativ schnell gefunden, doch auch gleich wieder sehr umstritten. Gesundheitsdorf wollte man werden, deshalb auch die Sache mit der Rehaklinik, die eine Münchner Fondsgesellschaft auf die grüne Wiese setzte, und dem Alten- und Pflegeheim. „Da gab es anfangs die Befürchtung, dass die Klinik nur kosten und nicht ausgelastet sein würde“, so Hanns Koch, der touristische Berater des Dorfes. Um die Anlage ins Rollen zu bringen, fuhr Dikau bis nach Schweden und klopfte an die Türen jeder am Weg liegenden Krankenkasse. Unterdessen ließ sich der halbe Ort vom Vieh- zum Kranken- und Altenpfleger umschulen.

Der Einsatz hat sich gelohnt, die Klinik ist mittlerweile gut ausgelastet. Um verstärkt schwedisches Klientel für sich zu gewinnen, hat der Ort einen Schwesternschülerinnenaustausch mit einer schwedischen Gemeinde auf Öland organisiert. Und als sich neulich tatsächlich eine junge Schwedin in der Klinik erholte, brachte man ihr Kind kurzerhand im Kindergarten des Dorfes unter.

„Das hat sich wohler gefühlt als die Mutter“, schmunzelt Koch und hofft, dass die Lohmener des Schwedischen bald mächtiger sind. Schließlich hat der Besuch auf Öland auch dazu geführt, dass im Winter regelmäßig Busgesellschaften eintreffen, um im Güstrower Land ihre Weihnachtseinkäufe zu tätigen. Dann steht im Lohmener Lindenhof mitunter Elchbraten auf der Speisekarte.

Damit der Elan im Dorf nicht zum Erliegen kommt, denkt sich der ortsansässige Kulturverein, dessen Vorsitzender Koch ist, immer wieder neue Events aus und versucht den Bewohnern Anreize zum eigenen Handeln zu geben. So wurde ein archäologischer Lehrpfad auf die Beine gestellt, und seit neuestem gibt es Teestunden, zu denen wechselnde Vorträge gehalten werden. Die Themen: „Erholungsort, was bringt uns das?“, „Vorgartenpflege“ oder „Hundehaltung“.

„Wenn einer seinen Hund immer bellen lässt, dann stört das doch die Gäste“, begründet Koch die vermeintliche Querbeetauswahl. Sensibilisieren will er, damit die Gemeinde eines Tages vielleicht ein ehrgeiziges Ziel erreicht. Nämlich Erholungsort zu werden. „Aber da hängen in Mecklenburg-Vorpommern die Trauben sehr hoch“, seufzt der ehemalige Dozent des Lehr- und Forschungsinstituts für Tourismus in Rostock. Schließlich könne man nicht so einfach mit Ostseebädern konkurrieren.

So kompliziert die Beziehungen des Ortes zur Kreisverwaltung sind, so gut stellt sich Lohmen mit Bund und Land. So wird die Gemeinde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Verbundprojektes „Humanressourcen als Engpassfaktor für die Entwicklung von kleineren und mittleren Unternehmen“ gefördert.

In diesem Projekt sollen Strategien von Wirtschaftsförderung für Kleinstunternehmen und Mikroregionen entwickelt werden, die wachstumsorientiert sind – bei gleichzeitig ökologischer Nachhaltigkeit. „Ein Konzept zu haben, wird auf Bundes- und Landesebene sehr unterstützt“, resümiert Koch.

Dazu gehört auch, die ganze Region behindertenfreundlich zu gestalten. Eine weitere Marktlücke, die Lohmen für sich einzunehmen versucht. Um zu eruieren, welche Hindernisse Rollstuhlfahrerinnen überwinden müssen, fotografierten zwei Bewohner ein Jahr lang jede Barriere. Nach und nach sollen sie nun beseitigt werden. So wird etwa für die kommende Saison ein Traktoranhänger gebaut, der Rollstuhlfahrer über den archäologischen Lehrpfad transportieren soll.

Zum Schluss berichtet Koch, dass die ortsansässige Elektrorollstuhlhockeymannschaft demnächst in den USA spielen wird. „Die Spieler kommen natürlich nicht alle aus der Region, aber wenn die in Amerika spielen, steht Lohmen auf ihren Trikots.“

Informationen: Dorfstr. 12, 18276 Lohmen, Fon (0 38) 45 82 00 40 www.seeblick-region-lohmen.de

CHRISTINE BERGER ist freie Autorin und betreut die Berliner Reiseseiten der taz