Schafe im Wolfspelz

Sebastian Haffner, Berliner und bürgerlicher Hitlergegner, über das Versagen von SPD und KPD im Frühjahr 1933

„Eigentlich niemand traute ihnen [den Kommunisten] zu, daß sie sich ohne Gegenwehr würden verbieten und abschlachten lassen. Den ganzen Februar hindurch hatte man ein wenig ‚Augen links‘ gestanden und auf den Gegenzug der Kommunisten gewartet. Nicht der Sozialdemokraten – von denen erwartet niemand mehr etwas, seit am 20. Juli 1932 Severing [preußischer Innenminister, Anm. d. Red.] und Grzenski [Berliner Polizeipräsident] mit der vollen Legalität und 80.000 Mann schwerbewaffneter Polizei im Rücken ‚der Gewalt‘ einer Reichswehrkompanie ‚gewichen‘ waren; aber der Kommunisten. Die Kommunisten waren entschlossene Leute mit finsteren Gesichtern, sie hoben die Faust zum Gruß, hatten Waffen – jedenfalls schossen sie oft genug bei den üblichen Kneipenschießereien –, pochten fortgesetzt auf ihre Stärke und Organisation und waren sicher von Rußland aus belehrt, wie man ‚so etwas‘ macht. [...]

Man brauchte sehr lange, um in Deutschland dahinterzukommen, daß die Kommunisten Schafe im Wolfspelz gewesen waren. Der Nazi-Mythos vom verhinderten kommunistischen Putsch fand einen Boden von Gläubigkeit, den die Kommunisten selbst präpariert hatten. Daß hinter ihren erhobenen Fäusten nichts gewesen war – wer hätte das wissen können?“

Aus: Sebastian Haffner: „Geschichte eines Deutschen“. DVA, Stuttgart 2000