Freibeuter im Gaslamp Quarter

Die Super Bowl des American Football zwischen Oakland und Tampa Bay steht im Zeichen von Bushs Aufmarsch gegen den Irak und wird von entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen begleitet. Gefürchtet werden aber auch die Fans der Raiders

aus San Diego FALK BORNEMANN

Der Mann hat ein Gefühl für Timing. Während seine Landsleute Super Bowl XXXVII entgegen fiebern, ruft US-Präsident George Walker Bush „die letzte Phase der Konfrontation“ mit der Mutter aller Schurkenstaaten aus. Die Analogien gehen den US-Kommentatoren dieser Tage jedenfalls nicht aus. In San Diego stehen sich am Sonntag im Endspiel der National Football League (NFL) die Tampa Bay Buccaneers und die Oakland Raiders gegenüber. Eine Schlacht der Bösewichte zu Wasser: Piraten gegen Freibeuter. Purer Zufall, dass Tampa das Hauptquartier der US Forces für den geplanten Irakfeldzug beherbergt, dass in San Diego, Heimat der Navy-Basen Camp Pendleton und Miramar Air Station, ein Gutteil jener Flugzeugträger ablegt, deren Waffensysteme und Soldaten Saddam Hussein nach einer überzeugenden Serie von Wüsten-Spielzügen einen Touchdown in Bagdad bescheren wollen.

„Sheer Coincidence“, bestätigt Super-Bowl-Sicherheitskraft Charles Portland aus dem nahen Chula Vista ein wenig irritiert – ein blöder Fall von Gleichzeitigkeit. Der potenzielle Kriegsschauplatz im Mittleren Osten ist seine geringste Sorge. Er fürchtet kriegsähnliche Zustände in San Diegos Amüsierviertel Gaslamp Quarter. Denn wer Hooliganism für ein europäisches Phänomen hält, hat im Geografieunterricht die „Raider Nation“ übersehen. Die Fans des dreifachen NFL-Champions von der Westküste gelten als die bösen Buben unter den für gewöhnlich ausnehmend friedfertigen Anhängern der US-Sportart Nummer eins. Halb San Diego zittert vor dem Ansturm der Nordkalifornier. Auf die Frage, welche die beste Kneipe für die halloweenkompatibel kostümierten Raiders-Fans sei, antwortet der Bostoner Gastarbeiter Bill aus der populären Spaghetti Factory im Gaslicht-Distrikt mürrisch: „Irgendein Laden in Oakland.“ Und die Oakland Tribune, Ortspostille des Traditionsteams aus der Bay Area, titelt beleidigt: „San Diego ist voll von Raiders-Hassern.“

Die 18.500 Parkplätze rund ums Qualcomm Stadium bleiben vorsorglich leer. Wer ins Stadion will, rumpelt mit einem altertümlichen Trolley-Bähnchen der „Blue Line“ zum größten Sportereignis der USA. Das liegt allerdings weniger an den heißblütigen Fans aus Oakland als an der allumfassenden Sicherheitshysterie der Veranstalter. Ein nahe dem Stadion gelegenes Treibstofflager wird vor, während und nach dem Spiel von schwer bewaffneten Milizionären der National Guard bewacht. Der Feind ist überall – auch in der Luft. Im Umkreis von sieben Meilen und einer Höhe von 18.000 Fuß ist am Super-Bowl-Sonntag für neun Stunden eine Flugverbotszone eingerichtet. Montgomery Field, San Diegos Inlands-Flughafen, wird am Feiertag der Football-Jünger komplett gesperrt sein.

Anders als im „Nine Eleven Bowl“ vor Jahresfrist sind von den Spielern indes keine patriotischen Sprüche zu hören. Der Mann, an dem sich die Geister in den USA derzeit scheiden, ist nicht Hussein, sondern Jon Gruden. Der Cheftrainer der Buccaneers hat vier Jahre lang vergeblich versucht, die Raiders als deren Headcoach in die Super Bowl zu führen und war vor Jahresfrist zum Team aus Florida gewechselt. Die „Bucs“ haben sich die Dienste Grudens acht Millionen Dollar Ablöse und die Zugriffsrechte auf vier vielversprechende Collegespieler kosten lassen – und wurden mit dem ersten Finaleinzug der Teamgeschichte belohnt.

Die Raiders geben sich vor dem Wiedersehen mit ihrem stets unter Starkstrom stehenden Extrainer gelassen. „Gruden? Mir ist egal, gegen wen wir spielen. Hier geht’s um die Raiders“, wies Oakland-Ballträger Charlie Garner Fragesteller zurecht. Und der inzwischen 40-jährige Raiders-Oldtimer Jerry Rice, als vermeintliches Ballfänger-Auslaufmodell der San Francisco 49ers einst von Gruden nach Oakland geholt, bekundete dem Trainer des Endspielgegners höflich seinen Respekt: „Er war der Grund, weshalb ich nach Oakland gegangen bin.“

Den US-Medien ist das zu viel der Harmonie. Sie widmeten die ersten Schlagzeilen der „Super Bowl Week“ prompt dem notorisch grimassierenden Blondschopf an der Seitenlinie der „Bucs“. Denn Gruden glänzte bei Ankunft seines Teams auf San Diegos Flughafen Lindburgh Field durch Abwesenheit. Er müsse noch am Spielzugplan fürs Finale werkeln, ließ der mit 39 Jahren jüngste Cheftrainer der NFL ausrichten und schwebte erst tags darauf ein. Mitunter, so mag er sich gedacht haben, muss man seine Gegner hinhalten. Diese, wenn auch keine andere Überzeugung hat Gruden wohl mit Saddam Hussein gemein. Dessen Gegner demonstrieren derweil im und über dem Hafenbecken von San Diego vor interessierten Touristen im Restaurant-Geviert Seaport Village ihren Siegeswillen: mit Kampf-Schlauchbooten, Hubschraubern und Kampfjets. Denn das nächste Spiel ist immer das schwerste.